Deutsch-Französischer Informationsbrief | April 2018
In diesem zweisprachigen Informationsbrief möchten wir Sie über aktuelle rechtliche und steuerrechtliche Entwicklungen in Deutschland und Frankreich informieren. Dieser Brief ist von der Deutsch-Französischen Équipe von GGV verfasst, die sich auf die Beratung von Unternehmen aus französischsprachigen Ländern in Deutschland und von Unternehmen aus deutschsprachigen Ländern in Frankreich spezialisiert hat.
News Frankreich
- Gesellschaftsrecht - Die Auswirkungen der Schuldrechtsreform bei Unternehmensveräußerungen
- Gesellschaftsrecht - Bestätigung der Unabhängigkeit des faktischen Geschäftsführers
- Handelsrecht - Die Internationale Kammer oder Modernität "Made in France".
- Handelsrecht - Die Auslegung von Vertragsklauseln "im Lichte" des neuen Vertragsrechts
- Immobilienrecht - Ein gewerblicher Mietvertrag kann nicht aufgelöst werden wegen Vertragsverletzungen, die vor der Erneuerung des Vertrages geschehen sind
- Steuerrecht - Grenzübergreifende Mehrwertsteuererstattungen: Erläuterungen zu den Widerspruchsvoraussetzungen der gesetzlichen Fristen
- Arbeitsrecht - Nutzung eines Firmencomputers durch den Arbeitnehmer: der EGMR bestätigt die französische Rechtsprechung
- Arbeitsrecht - Die Arbeitsrechtsreform ist endgültig in Kraft getreten
- Compliance - Gerichtliche Vereinbarung im öffentlichen Interesse (Der strafrechtliche „Deal“)
- GGV in eigener Sache
News Frankreich
Gesellschaftsrecht - Die Auswirkungen der Schuldrechtsreform bei Unternehmensveräußerungen
Durch die Schuldrechtsreform, die im Oktober 2016 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber neue gesetzliche Verpflichtungen für die Vertragsparteien eingeführt. Die rechtlichen Rahmenbedingungen bei der Veräußerung bzw. dem Erwerb von Unternehmen werden insbesondere durch drei Bestimmungen modifiziert: die vorvertragliche Informationspflicht, die Theorie der Unvorhersehbarkeit (théorie de l’imprévision) und die Beachtung des Prinzips von Treu und Glauben bei der Durchführung und beim Abbruch von Vertragsverhandlungen.
Hiernach werden die Auswirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben bei der Durchführung und beim Abbruch von Vertragsverhandlungen dargestellt. Die vorvertragliche Informationspflicht und die Theorie der Unvorhersehbarkeit wurden in den letzten Ausgaben unseres Informationsbriefs erläutert.
Die Pflicht, nach Treu und Glauben zu verhandeln (Teil 3/3)
Gemäß Artikel 1112 des Code Civil (Bürgerliches Gesetzbuch) müssen Verhandlungen in Übereinstimmung mit dem Grundsatz von Treu und Glauben durchgeführt und abgebrochen werden.
Die Partei, die gegen diese Anforderung verstößt, kann ggf. zur Zahlung eines Schadensersatzes an die andere Partei verpflichtet werden.
Die Prüfung der Einhaltung des Grundsatzes von Treu und Glauben ist dem souveränen Ermessen des Richters überlassen. Um seine Überzeugung zu begründen, berücksichtigt das Gericht verschiedene Anhaltspunkte wie den Verlauf der Verhandlungen, den berechtigten Glauben der anderen Partei an den Vertragsabschluss oder die Brutalität des Abbruches, sei dieser verspätet (z.B. am Tag vor Vertragsabschluss) oder ohne Grund erfolgt.
Um das Risiko von Rechtsstreitigkeiten zu begrenzen, ist es ratsam, die Parteien aufzufordern, sich in einer Absichtserklärung (Letter of Intent) über die Bedingungen ihrer Verhandlungen zu einigen. Die Gespräche können dann unverschuldet abgebrochen werden, wenn die in der Absichtserklärung genannten Bedingungen nicht erfüllt sind. Das heißt, dass die Parteien im Voraus vereinbaren, ihre Verhandlungen gegebenenfalls unter den von ihnen selbst festgelegten Bedingungen zu beenden.
Die Formulierung der Absichtserklärung benötigt daher besondere Aufmerksamkeit.
Zum Abschluss dieser Trilogie über die Auswirkungen der Schuldrechtsreform bei Unternehmensveräußerungen lässt sich feststellen, dass sowohl der Übertragende als auch der Übernehmer zu einer besonderen Achtsamkeit im Verlauf der vorvertraglichen Verhandlungen veranlasst werden. Dies ergibt sich aus der Komplexität der Anteilsübertragungstransaktionen in Verbindung mit den neuen rechtlichen Verpflichtungen.
Wert sollte außerdem auf die Formulierung der Verhandlungsunterlagen (Letter of Intent, Vertraulichkeitsvereinbarung) und auf die im Rahmen der vorherigen Due Diligence erteilten Informationen gelegt werden.
Gesellschaftsrecht - Bestätigung der Unabhängigkeit des faktischen Geschäftsführers
Mit Urteil vom 24.1.2018 hat der französische Kassationshof die Bedingungen geklärt, unter denen der kaufmännische Direktor einer Gesellschaft als faktischer Geschäftsführer qualifiziert werden kann. Der Kassationshof neigt zu einer restriktiven Auslegung des Begriffs des faktischen Geschäftsführers.
Im vorliegenden Fall wurde ein kaufmännischer Direktor einer Gesellschaft, der neben dem kaufmännischen Teil auch die Forschungs-, Entwicklungs- und Kommunikationsbereiche leitete, von den Richtern als faktischer Geschäftsführer betrachtet. Der Cour d‘appel (Berufungsgericht) ist davon ausgegangen, dass er der einzige Ansprechpartner des Unternehmens gegenüber Dritten war und somit das volle Vertrauen des Geschäftsführers hatte.
Der Kassationshof hat das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben, indem er daran erinnerte, dass die Rahmenbedingungen, zu denen der Geschäftsführer seine Tätigkeiten ausübte, nicht ausreichten, um diese als unabhängige Geschäftsführung und Leitung der Gesellschaft zu qualifizieren.
Folglich ist der kaufmännische Direktor einer Gesellschaft im Insolvenzverfahren, der Entscheidungen bezüglich des normalen Geschäftsverlaufs trifft, für mögliche Geschäftsführungsfehler nicht verantwortlich.
Der Kassationshof schränkt somit die Auslegung ein, die er in seinem Urteil vom 20.4.2017 vorgesehen hatte. Er hatte dort nämlich entschieden, dass ein kaufmännischer Direktor, der für die Buchführung, Finanzverwaltung, Geschäftsführung und Vertragsunterzeichnungen verantwortlich war, als Geschäftsführer für unzureichende Aktiva strafbar sein kann.
Handelsrecht - Die Internationale Kammer oder Modernität "Made in France".
Im Rahmen eines infolge des Brexit entstandenen Wettbewerbs, der durch Modernisierungsprojekte der französischen Justiz geprägt wird, wurden Internationale Kammern am Handelsgericht und am Pariser Berufungsgericht von der französischen Justiz eingeführt. Die Schaffung dieser Internationalen Kammern ist das Ergebnis zweier am 7.2.2018 geschlossener Protokolle, deren Ziel es ist, die wirtschaftliche Attraktivität von Paris zu stärken und zum Einfluss Frankreichs und der französischen Gerichte beizutragen.
Seit dem 1.3.2018 können transnationale Streitigkeiten in Bezug auf Verträge, Transport, unlauteren Wettbewerb, wettbewerbswidrige Praktiken und Streitigkeiten im Zusammenhang mit Finanzprodukten nach französischem oder ausländischem Recht vor diese Internationalen Kammern gebracht werden, sofern zwischen den Parteien eine Gerichtsstandsvereinbarung und eine vorherige Vereinbarung über die Prüfung und Beurteilung der Streitigkeit gemäß den Bestimmungen des besagten Protokolls über die Funktionsweise der Kammern geschlossen wurde.
Vor Internationalen Kammern vorgelegte Dokumente können in englischer Sprache eingereicht werden. Ebenso können Anhörungen ausländischer Zeugen, von Technikern, Sachverständigen und Anwälten in englischer Sprache durchgeführt werden. Die Simultanübersetzung des Verfahrens ins Französische oder Englische kann auf Antrag und Kosten der Parteien erfolgen. Die Verfahrensunterlagen und das Gerichtsurteil werden jedoch weiterhin in französischer Sprache verfasst, wobei der Entscheidung eine beglaubigte Übersetzung ins Englische beiliegt.
Die Schaffung der Internationalen Kammern erfolgte einige Tage bevor die Regierung einen Gesetzentwurf zur Reform und Vereinfachung des Funktionierens der Justiz vorlegte. Zu den Maßnahmen, die dieses Projekt vorsieht, gehören insbesondere die Abschaffung bestimmter Gerichte und die Verpflichtung, vor der Anrufung des Tribunal de grande instance (Landesgericht) unter Androhung der Unzulässigkeit der Klage einen Schlichtungsversuch zu unternehmen. Wir werden diese Reform nach ihrer Verabschiedung in unseren Rubriken vorstellen.
Handelsrecht - Die Auslegung von Vertragsklauseln "im Lichte" des neuen Vertragsrechts
In einem Urteil vom 7.2.2018 hat der Cour de cassation (Kassationshof) erneut eine Kehrtwende in einer ständigen Rechtsprechung gemacht, und zwar durch eine Auslegung von Vertragsbestimmungen “im Lichte” der Schuldrechtsreform vom 10.2.2016.
Bereits in einem Urteil der großen Kammer vom 24.2.2017 hat der Kassationshof von dem Grundsatz eine Ausnahme gemacht, wonach auf einen vor Inkrafttreten der Reform geschlossenen Vertrag auch das frühere Recht anwendbar sein soll. In dieser Entscheidung der großen Kammer hatte der französische Kassationshof die Ungültigkeit des Antrags eines Immobilienmaklers nach dem neuen Artikel 1179 des Zivilgesetzbuches ausgelegt. In diesem Fall ging es um die Unterscheidung von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit.
Der oberste Gerichtshof bekräftigt nun dieses Urteil mit einer neuen Entscheidung vom 7.2.2018. Der Käufer eines Heizkessels hatte die Auflösung des Kaufvertrages und die Zahlung von Schadensersatz für Betriebsausfall gefordert. Der Verkäufer hatte daraufhin die Anwendung der im Vertrag vorgesehenen Haftungsbeschränkungsklausel beantragt, wonach immaterielle Schäden vom Schadenersatz ausgeschlossen werden.
Unter Anwendung einer ständigen Rechtsprechung, wonach eine Vertragsauflösung dessen rückwirkende Aufhebung zur Folge hat, was folglich auch zur Nichtanwendbarkeit der Haftungsbeschränkungsklauseln führt, hat das Berufungsgericht die Anwendung der geltend gemachten Klausel abgelehnt und den Verkäufer zum Schadensersatz verurteilt.
Der Kassationshof hat diese berufungsgerichtliche Entscheidung unter Anwendung der Artikel 1134 und 1184 des vor der Schuldrechtsreform aus 2016 geltenden Zivilgesetzbuches aufgehoben, was eine deutliche Abkehr von der erwähnten ständigen Rechtsprechung darstellt. Laut Kassationshof hat nämlich nunmehr die Auflösung eines Vertrages wegen Nichterfüllung keinen Einfluss mehr auf die Anwendbarkeit von haftungsbegrenzenden Klauseln.
Mit diesem Urteil beurteilt die Handelskammer des Kassationshofs den Umfang der Auflösung eines vor der Reform aus 2016 geschlossenen Kaufvertrags im Lichte des neuen Artikels 1230 des Zivilgesetzbuches, wonach “die Auflösung weder Klauseln zum Streitbeteiligungsverfahren noch solche, die auch im Falle einer Auflösung Wirkung entfalten sollen, berührt “.
Angesichts der Anwendbarkeit auf Haftungsbeschränkungsklauseln kann man sich vorstellen, dass diese Lösung sinngemäß auch für Strafklauseln gilt, die für den Fall der Nichterfüllung eine pauschale Entschädigung zu Abschreckungszwecken vorsieht. Die Wirkungen einer Vertragsauflösung (résolution) sind somit von denen einer sog. Hinfälligkeit (caducité) des Vertrages zu unterscheiden, die nach einem Urteil des Kassationshofs vom 6.12.2017 tatsächlich zu einer Unwirksamkeit der im Vertrag enthaltenen Strafklausel führt.
Immobilienrecht - Ein gewerblicher Mietvertrag kann nicht aufgelöst werden wegen Vertragsverletzungen, die vor der Erneuerung des Vertrages geschehen sind
Im Falle einer Streitigkeit mit seinem Mieter kann der Vermieter gegebenenfalls versuchen, die im Mietvertrag vorgesehene Kündigungsklausel geltend zu machen. Die Tatsache, dass der Mietvertrag inzwischen erneuert wurde, verhindert aber laut dem Cour de cassation (Kassationshof), dass der neue Vertrag wegen Vertragsverletzungen des Mieters, die vor der Vertragserneuerung geschehen sind, gekündigt werden kann.
Im vorliegenden Fall hatte der Mieter am 4.4.2013 einen Antrag auf Erneuerung seines gewerblichen Mietvertrages gestellt. Dieser Antrag gilt dem Gesetz nach als stillschweigend angenommen, wenn der Vermieter nicht innerhalb einer dreimonatigen Frist auf diesen Antrag antwortet. Der Mieter hat vor Ablauf dieser Frist und vor der Erneuerung des Mietvertrages, und ohne Erlaubnis des Vermieters, Bauarbeiten in den gemieteten Räumlichkeiten durchgeführt. Der Vermieter hat dem Mieter im selben Zeitraum mehrere Verfügungen zugestellt, mit den Bauarbeiten aufzuhören, und dabei mit der Kündigung des Vertrages gemäß der Kündigungsklausel gedroht. Der Fall wurde dann vor Gericht gebracht.
Der Mietvertrag wurde laut dem Kassationshof von Rechts wegen nach Ablauf der dreimonatigen Frist gemäß Artikel L. 145-10 des französischen Code de commerce (Handelsgesetzbuch) erneuert. Dies bedeutet, dass ein neuer neunjähriger gewerblicher Mietvertrag den alten Vertrag ersetzt hat. Es ist daher bedeutungslos, dass der Vermieter vor der Erneuerung des Vertrages mit der Kündigung des alten Mietvertrages gedroht hat. Ein neuer Mietvertrag wurde abgeschlossen, und die Vertragsverletzungen wurden unter dem alten Vertrage begangen. Der Vermieter kann den neuen Vertrag daher nicht aufgrund dieser Vertragsverletzungen kündigen.
Es ist also in der Praxis besonders wichtig, im Fall einer laufenden Streitigkeit zwischen dem Vermieter und dem Mieter auf die Folgen der ausdrücklichen oder stillschweigenden Erneuerung des Vertrags zu achten.
Steuerrecht - Grenzübergreifende Mehrwertsteuererstattungen: Erläuterungen zu den Widerspruchsvoraussetzungen der gesetzlichen Fristen
Der Conseil d’État (Oberstes französisches Verwaltungsgericht) hat entschieden, dass das Einreichen von Erstattungsanträgen durch Steuerpflichtige, die in einem anderen EU-Mitliedstaat ansässig sind, nicht unter die Frist des 30.9. eines jeden Jahres fällt. Außerdem wurde eine Vorlagefrage über die Folgen der Nichteinhaltung der einmonatigen Frist für die Beantwortung eines Informationsersuchens an den Europäischen Gerichtshof gestellt.
Mit einem Urteil des Conseil d’État vom 4.12.2017 (CE 10. und 9. Kammer, 4.12.2017 Nr.°392575, “Costa Croisière SPA”), wurde festgelegt, dass sich der Mitgliedstaat zur Erstattung nicht auf die Nichteinhaltung dieser Frist berufen kann, wenn die in der Richtlinie zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer (2008/9/EG) vorgesehene Frist für das Einreichen eines Erstattungsantrags durch einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen nicht umgesetzt wurde.
Hierzu muss daran erinnert werden, dass gemäß Artikel 15 der 2008/9/EG Richtlinie, der Erstattungsantrag spätestens bis zum 30.9. des auf den Erstattungszeitraum folgenden Kalenderjahres gestellt werden muss. Dieser Antrag muss über das vom Niederlassungsstaat eingerichtete Portal gestellt werden.
Die französische Gesetzesreglung sieht jedoch nicht ausdrücklich vor, dass ein in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger seinen Erstattungsantrag vor dem 30.9. stellen muss.
Verjährte oder wegen verspäteter Einreichung (nach dem 30.9.) abgelehnte Erstattungsanträge müssten daher bis zum 31.12. des zweiten Jahres nach dem Jahr, in dem die Mehrwertsteuer erstattungsfähig wurde, eingereicht werden können. Steuerpflichtige, die noch erstattungsfähige Mehrwertsteuer für 2016 haben, könnten also in der Praxis noch bis zum 31.12.2018 ihren Erstattungsantrag einreichen.
Eine Vorlagefrage des Tribunal administratif (Verwaltungsgericht) (TA de Montreuil 14.2.2018 Nr. 1602615) müsste außerdem die Unsicherheiten über die Folgen der Nichteinhaltung der einmonatigen Frist für die Beantwortung eines Informationsersuchens der Verwaltung des Mitgliedstaats der Erstattung (Artikel 242-0 W des zweiten Anhangs des Code général des impôts und Art. 20 der 2008/9/EG Richtlinie), beseitigen. Die Frage, die dem Europäischen Gerichtshof mit diesem Urteil vorgelegt wurde, ist folgende: ist die Frist von einem Monat als eine Ausschlussfrist ohne jegliche Rechtsmittel für den Steuerpflichtigen anzusehen oder kann die von der Verwaltung ausgesprochene Unzulässigkeit des Erstattungsantrages vor einem Verwaltungsgericht behoben werden.
Selbstverständlich werden wir Sie über die zukünftigen Entwicklungen zu diesem Thema informieren.
Arbeitsrecht - Nutzung eines Firmencomputers durch den Arbeitnehmer: der EGMR bestätigt die französische Rechtsprechung
Ein Arbeitnehmer wurde entlassen, nachdem auf dem von ihm genutzten Firmencomputer pornografische Inhalte und gefälschte Bescheinigungen gefunden wurden. Der Arbeitnehmer hat in der Folge die Rechtmäßigkeit der Kündigung vor dem Arbeitsgericht bestritten. Er hat dies damit begründet, dass er die Festplatte in „private Daten“ umbenannt hat und dass deshalb alle auf ihr gespeicherten Dateien einen privaten Charakter hätten.
Der französischen Rechtsprechung zufolge wird für Dateien, die der Arbeitnehmer auf einem von ihm genutzten Firmencomputer anlegt, vermutet, dass sie einen beruflichen Charakter haben. Auf diese Dateien kann der Arbeitgeber auch in Abwesenheit des Arbeitnehmers Zugriff nehmen, es sein denn, die Dateien wurden als privat gekennzeichnet.
Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Berufungsgericht haben diese Rechtsprechung angewandt und entschieden, dass die Entlassung des Arbeitnehmers rechtmäßig war. Der Arbeitnehmer hat Revision vor dem Kassationshof eingelegt und diese mit einer Verletzung des von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützten Rechtes auf Privatleben begründet.
Der Revisionsantrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass „der der Festplatte gegebene Name den auf ihr enthaltenen Daten keinen privaten Charakter verleihen kann“. Damit wurde die Begründung des Berufungsurteils bestätigt, der zufolge die Bezeichnung der Festplatte des Firmencomputers durch den Arbeitnehmer nicht dazu führen kann, dass dieser die Festplatte zu ausschließlich privaten Zwecken nutzt und dadurch dem Arbeitgeber den Zugriff verwehrt.
Der Arbeitnehmer hat in der Folge den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angerufen. Der Gerichtshof hat die Argumente der französischen Gerichte für relevant und ausreichend erachtet. Er hat die französische Rechtsprechung bestätigt, da diese geeignet sei, einen Ausgleich zwischen dem Schutz des Privatlebens der Arbeitnehmer und dem legitimen Interesse des Arbeitgebers zu schaffen, der sicherstellen will, dass die den Arbeitnehmern zur Verfügung gestellten Kommunikationsmittel nicht missbräuchlich genutzt werden.
Auch wenn sich aus dieser Rechtsprechung eine angemessene Lösung ergibt, die eine Abwägung der Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern ermöglicht, raten wir zur Einführung von Nutzungsregelungen, in denen die Rechte aller Beteiligten definiert werden.
Arbeitsrecht - Die Arbeitsrechtsreform ist endgültig in Kraft getreten
Im Anschluss an die Entscheidung des Verfassungsgerichts vom 21.3.2018 wurde das Gesetz Nr. 2018-217 vom 29.3.2018 am 31.3.2018 veröffentlicht. Mit diesem Gesetz wurden die Verordnungen, die auf der Grundlage des Gesetzes vom 15.9.2017 erlassen wurden (Verordnungen Macron) ratifiziert. Die Reform des Arbeitsgesetzbuches ist damit abgeschlossen.
Der Gesetzesentwurf zur Ratifizierung der Verordnungen Macron, der am 14.2.2018 verabschiedet wurde, war Gegenstand eines von mehr als sechzig Abgeordneten eingeleiteten Normenkontrollverfahrens. Am 21.3.2018 hat das Verfassungsgericht fast alle Bestimmungen des Ratifikationsgesetzes und damit die Reform des Arbeitsgesetzbuches für verfassungsgemäß erklärt.
Das Verfassungsgericht hat insbesondere entschieden, dass die neue Betrachtungsebene für den wirtschaftlichen Grund für Kündigungen in Unternehmen einer Unternehmensgruppe verfassungsgemäß ist: lediglich Unternehmen, die demselben Geschäftsbereich der Gruppe angehören und die in Frankreich ansässig sind, werden bei der Prüfung des wirtschaftlichen Grundes berücksichtigt.
Die dem Arbeitgeber eingeräumte Möglichkeit, in Unternehmen mit bis zu zwanzig Arbeitnehmern, in denen kein Gewerkschaftsvertreter bestellt und kein Personalvertretungsorgan eingerichtet wurde, Betriebsvereinbarungen im Wege eines Referendums einzuführen, wurde ebenfalls für verfassungsgemäß erklärt.
Mit dieser Reform des Arbeitsgesetzbuches wird der Dialog zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in den Mittelpunkt gestellt. Sie ermöglicht eine Arbeitsorganisation, die den Interessen der Unternehmen und ihren Mitarbeitern Rechnung trägt.
Compliance - Gerichtliche Vereinbarung im öffentlichen Interesse (Der strafrechtliche „Deal“)
Diese Art der Vereinbarung, die durch das Gesetz Sapin II eingeführt wurde, ermöglicht den Abschluss einer Vereinbarung, mittels derer eine strafrechtliche Verfolgung eingestellt werden kann, nämlich aufgrund der Anerkennung der Tatsachen und der Zahlung eines Bußgeldes. Diese in Frankreich noch sehr neue Möglichkeit wurde kürzlich in zwei Korruptionsfällen angewandt. Diese Entscheidungen sind sehr lehrreich insbesondere zu den Umständen, die für die Festlegung der Höhe des Bußgeldes herangezogen werden.
So wurde für die Berechnung der Sanktionen für die Unternehmen folgendes berücksichtigt:
- der Bruttobetriebsüberschuss aus den aufgrund von Korruption abgeschlossenen Verträgen;
- erschwerende Umstände wie z.B. die Dauer der Handlungen;
- mildernde Umstände, wie die Einrichtung eines Compliance Programms oder die Ersetzung der Geschäftsführung infolge der Aufdeckung der Handlungen;
- die Verpflichtung, ein schon bestehendes Compliance Programm unter Aufsicht zu verbessern.
Der Höchstbetrag des Bußgeldes auf der Grundlage einer Vereinbarung im öffentlichen Interesse beträgt 30 % des durchschnittlich getätigten Jahresumsatzes gerechnet auf die letzten 3 Geschäftsjahre. Die zwei betroffenen Gesellschaften mussten sich darüber hinaus verpflichten, die Nebenkläger zu entschädigen.
GGV in eigener Sache
GGV unterstützt in Verbindung mit der Hilfsorganisation « Protect the Childen Inc. » das Waisenhaus Aishworya in Nepal.
Unsere Spenden decken für 1 Jahr die Kosten (Bücher, Transport, Uniform etc.) für 7 der 26 Waisen, die in einer Privatschule eine solide schulische Ausbildung erhalten.
Wenn auch Sie helfen möchten oder weitere Informationen wünschen, wenden Sie sich einfach an ProtectTheChildrenNepal@gmail.com oder besuchen Sie die Website www.aishworya.org.