Deutsch-Französischer Informationsbrief | Juli 2022

In diesem zweisprachigen Informationsbrief möchten wir Sie über aktuelle rechtliche wie steuerrechtliche Entwicklungen in Frankreich informieren. Die deutsch-französischen Anwälte von GGV, die die verschiedenen Beiträge zu diese Brief verfasst haben, sind alle in der Beratung von Unternehmen in ihren grenzüberschreitenden Fragen spezialisiert.

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News Frankreich

  1. E-COMMERCE - E-Commerce und Verbraucherschutz: Inkrafttreten der Bestimmungen aus der sogenannten "Omnibus"-Richtlinie
  2. HANDELSRECHT - KURZMELDUNG - Der Kassationshof präzisiert seinen Standpunkt zur vertraglichen Haftung von Kfz-Mechanikern
  3. HANDELSRECHT - KURZMELDUNG - Anwendung des Berufsgeheimnisses für Dokumente, die aus einer Rechtsabteilung stammen
  4. HANDELSRECHT - KURZMELDUNG – Zu beobachten : Weiterleitung einer vorrangigen Frage zur Verfassungsmäßigkeit in Bezug auf ein signifikantes Ungleichgewicht
  5. WETTBEWERBSRECHT - Vertikale Vereinbarungen: neue Freistellungsverordnung und neue Leitlinien
  6. RECHTSSTREITIGKEITEN - Eine Zahlungsanordnung ist eine vollstreckbare "Entscheidung" im Sinne der Brüssel-Ia-Verordnung.
  7. DATENSCHUTZ – Veröffentlichung des Jahresberichts 2021 durch die französische Datenschutzaufsichtsbehörde CNIL
  8. DATENSCHUTZ - Die CNIL erweitert ihre Anforderungen zu den Maßnahmen in Bezug auf Webseitenbesucherstatistiken
  9. COMPLIANCE – Tätigkeitsbericht der AFA für 2021
  10. COMPLIANCE - Neues Rahmendokument zu wettbewerbsrechtlichen Compliance-Programmen
  11. COMPLIANCE – KURZMELDUNG - Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen der Unternehmen, die keinen Sorgfaltsplan erstellt haben
  12. BAURECHT - Einstufung als Bauwerkhersteller und Haftung gegenüber dem Bauunternehmer
  13. IMMOBLIENRECHT - Die Umqualifizierung einer Garantie auf erstes Anfordern in eine Bürgschaft
  14. IMMOBILIENRECHT - Pflichtversicherungen für Bauvorhaben- Entschädigung des Bauherrn für den fehlenden Abschluss einer Versicherung erst bei Eintritt des Schadens.
  15. FINANZWESEN - Bankenmonopol und Vorschüsse auf Rabatte - keine Annullierung eines Vertrags, der unter Missachtung des Bankenmonopols eingegangen wurde.
  16. ARBEITSRECHT - KURZMELDUNG - Erweiterung des Inhalts der Datenbank für wirtschaftliche und soziale Daten (BDES) um Informationen über die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit des Unternehmens auf die Umwelt
  17. ARBEITSRECHT – KURZMELDUNG – Der Kassationsgerichtshof bestätigt die Rechtmäßigkeit der Schadensersatztabelle für Arbeitnehmer, die ohne rechtfertigenden Grund entlassen wurden
  18. CORPORATE - Was das « juste motif » und der «wichtige Grund» gemeinsam haben
  19. CORPORATE - Societas delinquere (non) potest

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E-COMMERCE - E-Commerce und Verbraucherschutz: Inkrafttreten der Bestimmungen aus der sogenannten "Omnibus"-Richtlinie

Die Bestimmungen der Verordnung Nr. 2021-1734 vom 22. Dezember 2021 (siehe Link) zur Umsetzung der sogenannten “Omnibus”-Richtlinie (EU) 2019/2161 in französisches Recht sind am 28. Mai 2022 in Kraft getreten. Gegenstand der Bestimmungen ist insbesondere den Verbraucherschutz durch eine Stärkung der bestehenden Vorschriften zu verbessern und diese Vorschriften an den digitalen Wandel anzupassen.

Insbesondere folgende Bestimmungen können hervorgehoben werden:

-Die Einführung neuer Begriffsbestimmungen: Das Vorkapitel des französischen Verbrauchergesetzbuchs enthält nun die Definitionen der Begriffe “Online-Marktplatz”, “Marktplatzbetreiber” und “Geschäftspraxis”. Letztere wird definiert als “jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise, Vorgehensweise oder kommerzielle Kommunikation, einschließlich Werbung und Marketing, seitens eines Gewerbetreibenden, die in direktem Zusammenhang mit der Verkaufsförderung, dem Verkauf oder der Lieferung einer Ware, einer Dienstleistung steht oder sich auf Rechte und Pflichten bezieht” (Artikel 1).

– Transparenz von Preisnachlässen: Die Verordnung führt neue Regeln ein, die die Authentizität von Preisnachlässen, die den Verbrauchern angekündigt werden, gewährleisten sollen. Insbesondere führt die Verordnung im französischen Recht die Verpflichtung wieder ein, den Preis vor der Preissenkung anzugeben, wobei dieser Preis der niedrigste ist, der in den 30 Tagen vor der Preissenkung praktiziert wurde (Artikel 2). Es wird auch klargestellt (Absatz 3), dass im Fall von aufeinanderfolgenden Preissenkungen während eines bestimmten Zeitraums der ursprüngliche Preis “jener Preis ist, der vor der Anwendung der ersten Preissenkung praktiziert wurde”. In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass die Europäische Kommission am 29. Dezember 2021 eine Mitteilung veröffentlicht hat, die eine Anleitung zur Auslegung der Bestimmungen der sogenannten Omnibus-Richtlinie über die Angabe der Preise von Verbrauchern angebotenen Produkten bieten soll (siehe Link).

– Anpassung der Bestimmungen des Verbraucherschutzgesetzes über irreführende Geschäftspraktiken an die digitale Wirtschaft und Erweiterung der Liste irreführender Geschäftspraktiken (insbesondere auf die Verbreitung falscher Verbrauchermeinungen oder von Meinungen ohne vorherige Überprüfung).

– Die Einführung eines verschärften Sanktionssystems soll von irreführenden Geschäftspraktiken abhalten.

HANDELSRECHT - KURZMELDUNG - Der Kassationshof präzisiert seinen Standpunkt zur vertraglichen Haftung von Kfz-Mechanikern

Für Autofahrer, die sich mit ihrer Kfz-Werkstatt über die durchgeführten Reparaturen im Rechtsstreit befinden, bestand bislang eine gewisse Unsicherheit darüber, welche Art der Verpflichtung die Werkstatt ihnen gegenüber hat. Ursprünglich handelte es sich um eine Erfolgspflicht, doch der Kassationshof hat daraufhin entschieden, dass die Haftung des Mechanikers ausgeschlossen werden kann, wenn er nachweisen kann, dass er keinen Fehler begangen hat, was jedoch im Widerspruch zum Begriff der Erfolgspflicht im französischen Recht steht.

In zwei Urteilen vom 11. Mai 2022 (Rechtsmittel Nr. 20-18.867 und 20-19.732) stellt der Kassationshof seine Position klar: “Wenn die Haftung des Mechanikers für die ihm anvertrauten Leistungen nur im Falle eines Fehlers besteht, wird, sobald nach seinem Eingriff Störungen auftreten oder fortbestehen, das Vorliegen eines Fehlers und eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Fehler und diesen Störungen vermutet.

Sobald nach dem Eingriff des Kfz-Mechanikers Mängel auftreten oder fortbestehen, wird also sein Verschulden vermutet. Es obliegt dem Kfz-Mechaniker, sein fehlendes Verschulden zu beweisen.

HANDELSRECHT - KURZMELDUNG - Anwendung des Berufsgeheimnisses für Dokumente, die aus einer Rechtsabteilung stammen

Cass. Crim. 26. Januar 2022, Nr. 17-87.359

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In einem Urteil vom 26. Januar 2022 entschied die Strafkammer des französischen Kassationsgerichtshofs, dass Dokumente, die von der Rechtsabteilung eines Unternehmens stammen und eine von einem Rechtsanwalt entwickelte Verteidigungsstrategie aufgreifen, unter das Berufsgeheimnis des Rechtsanwalts fallen.

Der Kassationsgerichtshof war nämlich der Ansicht, dass diese Dokumente durch das Berufsgeheimnis geschützt waren, obwohl es sich nicht um Dokumente handelte, die von Anwälten verschickt wurden oder für sie bestimmt waren, sondern um Dokumente, die zwischen den Juristen desselben Unternehmens ausgetauscht wurden.

Der Kassationsgerichtshof entschied, dass diese Dokumente vertrauliche Daten enthielten, die unter das Berufsgeheimnis fielen, und hob folglich die Beschlagnahme der Dokumente durch die Wettbewerbsbehörde auf.

GGVs Tipp: Sie können sich der Beschlagnahme von Dokumenten widersetzen, auch wenn es sich nicht um einen Austausch zwischen zwei Anwälten handelt, aber die Verteidigungsstrategie eines Anwalts verfolgt wird!

HANDELSRECHT - KURZMELDUNG – Zu beobachten : Weiterleitung einer vorrangigen Frage zur Verfassungsmäßigkeit in Bezug auf ein signifikantes Ungleichgewicht

Paris, 10 mai 2022, n°202032138QPC

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Seit dem sogenannten “Egalim“-Gesetz und der Verordnung Nr. 2019-359 hat Artikel L.442-1, 1, 1° des französischen Handelsgesetzbuchs die wettbewerbsbeschränkende Praxis bezüglich der Erlangung eines Vorteils ohne Gegenleistung oder ohne verhältnismäßige Gegenleistung geändert und ihren Anwendungsbereich erweitert.

So ist es seit dem 26. April 2019 möglich, dass eine Person ihren Vertragspartner haftbar macht, wenn dieser von ihr einen Vorteil ohne jegliche Gegenleistung oder einen Vorteil erhalten hat, der im Verhältnis zum Wert der Gegenleistung offensichtlich unverhältnismäßig ist.

In einem Rechtsstreit zwischen einem Verband von Konsumgüterherstellern und Amazon, in dem der Verband behauptete, dass mehrere von Amazon auferlegte Vertragsklauseln Vorteile ohne verhältnismäßige Gegenleistung darstellten, legte Amazon die folgende vorrangige Frage nach der Verfassungsmäßigkeit (QPC) vor:

Verletzt der neue Artikel L.442-1, 1, 1° des französischen Handelsgesetzbuchs die durch die Verfassung geschützte unternehmerische Freiheit, die Vertragsfreiheit, den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz, die Gewährleistung der Rechte und den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen?

Mit Urteil vom 10. Mai 2022 befand das Handelsgericht Paris, dass die von Amazon aufgeworfene QPC ernsthaft, neuartig und auf den Rechtsstreit anwendbar sei. Es entschied daher, sie an den Kassationsgerichtshof weiterzuleiten und das Verfahren auszusetzen.

Es wird nun Aufgabe des Kassationsgerichts sein, über die Weiterleitung dieser QPC an den Verfassungsrat (Conseil Constitutionnel) zu entscheiden. Der Fall wird weiterverfolgt!

WETTBEWERBSRECHT - Vertikale Vereinbarungen: neue Freistellungsverordnung und neue Leitlinien

Jede vertikale Vereinbarung (oder andere abgestimmte Verhaltensweise) über den Verkauf von Waren oder Dienstleistungen, wie z. B. ein Vertriebsvertrag, muss mit den Regeln des Kartellrechts vereinbar sein. Aktualisierte Texte sind nun in Kraft getreten.

Die „Verordnung (EU) 2022/720 vom 10. Mai 2022 über die Anwendung des Artikels 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen“ ersetzt seit dem 1. Juni 2022 die zuvor geltende Verordnung 330/2010/EU. Gleichzeitig mit der Veröffentlichung der Verordnung aktualisierte die Kommission auch die begleitenden Leitlinien, in denen detailliert dargelegt wird, wie die betreffenden Vereinbarungen und Verhaltensweisen zu bewerten sind.

Die Verordnung 2022/720/EU gilt für Konstellationen, in denen der jeweilige Marktanteil des Lieferanten wie auch des Käufers auf dem von der Vereinbarung betroffenen Markt (der Markt, auf dem der Lieferant verkauft und der Käufer kauft) nicht mehr als 30 % beträgt. Für Vereinbarungen, auf die dies zutrifft, nennt die Verordnung Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit die Vereinbarkeit mit dem Kartellrecht gewährleistet ist: Man spricht von einer „Gruppenfreistellung“ vom grundsätzlichen Verbot vertikaler Vereinbarungen, die in den Anwendungsbereich von Artikel 101 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union fallen. Zu diesen einzuhaltenden Bedingungen gehört z. B. das Verbot, dem Käufer einen Mindestverkaufspreis für das betreffende Produkt vorzuschreiben; andere Verpflichtungen, wie z. B. jedes direkte oder indirekte Wettbewerbsverbot mit einer Dauer von mehr als fünf Jahren, werden durch die Verordnung 2022/720 nicht freigestellt (erlaubt).

Im Vergleich zur Verordnung 330/2010 hat die Verordnung 2022/720 einige Regeln verschärft, z. B. die Regeln für Lieferanten, die ihre Waren oder Dienstleistungen sowohl über unabhängige Händler als auch direkt an Endkunden verkaufen (zweigleisiger Vertrieb). In diesem Fall stellt die Verordnung 2022/720 klar, dass der Informationsaustausch auf das für die Durchführung der Vereinbarung oder zur Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs der Vertragsprodukte unbedingt erforderliche Maß zu beschränken ist.

Im Gegensatz dazu hat die Verordnung 2022/720 andere Regeln gelockert. So umfasst die Definition von „aktiven Verkäufen“, die unter bestimmten Bedingungen im Rahmen einer Alleinvertriebsvereinbarung eingeschränkt werden können, nun auch die gezielte Ansprache von Online-Kunden durch gezielte Werbung oder andere Mittel. Neben anderen neuen Regeln wird es unter bestimmten Bedingungen möglich, unterschiedliche Großhandelspreise zu verlangen, je nachdem, ob die fraglichen Produkte online oder offline weiterverkauft werden (Doppelpreissystem).

Mehrere Neuerungen betreffen speziell Online-Vermittlungsdienste (Plattformen). Für diese Dienste, die in der Verordnung 330/2010 nicht erwähnt wurden, gelten strengere Regeln, z. B. in Bezug auf Szenarien von zweigleisigem Vertrieb und das Verbot für einen Kunden, einem konkurrierenden Online-Vermittlungsdienst günstigere Bedingungen zu gewähren (Paritätsverpflichtungen), was nach der Verordnung 2022/720 nicht zulässig ist.

Eine Übergangsfrist gilt bis zum 31. Mai 2023, damit vertikale Vereinbarungen, die am 31. Mai 2022 in Kraft waren, mit der neuen Verordnung in Einklang gebracht werden können.

Sowohl neue als auch bestehende Vereinbarungen (z.B. Vertriebsverträge) sowie Geschäftspraktiken (z. B. in Bezug auf den Informationsaustausch im zweigleisigen Vertrieb) die in den Anwendungsbereich der Verordnung 2022/720/EU fallen, müssen vor Ablauf der Übergangsfrist auf ihre Vereinbarkeit mit dieser geprüft werden.

RECHTSSTREITIGKEITEN - Eine Zahlungsanordnung ist eine vollstreckbare "Entscheidung" im Sinne der Brüssel-Ia-Verordnung.

In einem Urteil vom 07.04.2022 entschied der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), dass eine Zahlungsanordnung eine “Entscheidung” im Sinne der Brüssel-Ia-Verordnung darstellt und daher in einem anderen EU-Mitgliedstaat unmittelbar  vollstreckt werden kann, sofern sie am Ende eines kontradiktorischen Verfahrens im Ursprungsmitgliedstaat erlassen und dort für vollstreckbar erklärt wurde.

Die Verordnung Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, auch Brüssel-Ia genannt, sieht vor, dass eine in einem Mitgliedstaat ergangene gerichtliche Entscheidung, sobald sie vollstreckbar ist, im gesamten innergemeinschaftlichen Gebiet vollstreckt werden kann, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf (Art. 39).

Der Begriff der Entscheidung wurde in Art. 2 der Verordnung definiert als ” jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung wie Urteil, Beschluss, Zahlungsbefehl oder Vollstreckungsbescheid, einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten”.

In einem innergemeinschaftlichen Fall stellte sich die Frage, ob ein Mahnbescheid eine “Entscheidung” im Sinne von Art. 2 der Brüssel-Ia-Verordnung darstellt und im Hoheitsgebiet aller EU-Mitgliedstaaten vollstreckt werden kann.

Im vorliegenden Fall hatte ein englisches Unternehmen im März 2019, also vor dem Brexit, vom High Court of England and Wales einen Mahnbescheid auf der Grundlage zweier in Jordanien ergangener Urteile erwirkt. Sie wollte diese gegen ihren in Österreich ansässigen Schuldner vollstrecken lassen.

Der österreichische Oberste Gerichtshof legte dem EuGH daraufhin ein Vorabentscheidungsersuchen vor, um zu klären, ob eine in einem Mitgliedstaat erlassener Zahlungsanordnung eine “Entscheidung” im Sinne der Artikel 2 und 39 der Brüssel-Ia-Verordnung darstellt und in den anderen Mitgliedstaaten vollstreckbar ist oder nicht.

In einem Urteil vom 07.04.2022 antwortete der EuGH, dass eine Zahlungsanordnung eine Entscheidung im Sinne der Brüssel-Ia-Verordnung ist, wenn diese nach einem kontradiktorischen Verfahren erlassen wurde und im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar ist.

Die Tatsache, dass die Zahlungsanordnung auf einer in einem Drittstaat ergangenen Entscheidung beruht, ist unerheblich, da jeder Mitgliedstaat festlegen muss, ob seine Gerichte vollstreckbare Entscheidungen auf der Grundlage von in einem Drittstaat ergangenen Urteilen erlassen können.

So genießt eine Zahlungsanordnung, die von einem Mitgliedstaat nach einem kontradiktorischen Verfahren erlassen wurde und in diesem Mitgliedstaat vollstreckbar ist, auch in den anderen Mitgliedstaaten Vollstreckbarkeit.

Der EuGH stellt klar, dass der Vollstreckungsschuldner immer die Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung im Vollstreckungsmitgliedstaat anfechten kann, insbesondere wenn die Entscheidung offensichtlich gegen die öffentliche Ordnung des Vollstreckungsmitgliedstaats verstößt. Dies wird beispielsweise der Fall sein, wenn der Antragsgegner nicht in der Lage war, sich vor dem Gericht des Mitgliedstaates, das die Anordnung erlassen hat, effektiv zu verteidigen.

DATENSCHUTZ – Veröffentlichung des Jahresberichts 2021 durch die französische Datenschutzaufsichtsbehörde CNIL

Anfang Mai 2022 hat die französische Datenschutzaufsichtsbehörde CNIL ihren Jahresbericht 2021 veröffentlicht. Die Lektüre des 124-seitigen Dokuments vermittelt einen guten Eindruck von der Tätigkeit der französischen Aufsichtsbehörde und der zunehmenden Berücksichtigung des Schutzes personenbezogener Daten durch die verschiedenen Interessenvertreter.

In der Tat wird die CNIL sowohl von Privatpersonen als auch von Unternehmen, Behörden, Verbänden und Medien zunehmend in Anspruch genommen wird.

Konkret berichtet die CNIL, dass sie im Jahr 2021 insgesamt 14.143 Beschwerden erhalten und 12.522 Beschwerden abgeschlossen hat. Sie erhielt 5.000 Meldungen über Datenverletzungen. Die 384 von ihr durchgeführten Kontrollen und sonstigen Anweisungen führten dazu, dass die CNIL 135 Abmahnungen und 18 Sanktionen verhängte, davon Bußgelder in Höhe eines kumulierter Betrages von mehr als 214 Millionen Euro.

In Bezug auf die Themen, zu denen die Beschwerden eingereicht wurden, nennt die CNIL :

– Kundenwerbung per SMS, E-Mail, Telefon oder Post.

– die Überwachung von Arbeitnehmern betraf Videoüberwachungsgeräte am Arbeitsplatz.

– das Auskunftsrecht (von den eingegangenen Beschwerden sollen fast 30 % aus dem Bereich Arbeit stammen.

Darüber hinaus führten Fragen zu Cookies und zur Einhaltung der Vorschriften für Websites und Anwendungen, die Cookies oder andere Tracking-Techniken verwenden, zu einer regen Aktivität der Institution und ihrer Website.

Neben ihrer repressiven Tätigkeit hat die CNIL auch eine erzieherische Funktion (sowohl gegenüber Privatpersonen als auch gegenüber öffentlichen oder privaten Einrichtungen) und berät die Behörden und das Parlament. So war sie in den Gesetzgebungsprozess auf nationaler Ebene (Gesetzesvorschlag “globale Sicherheit”, Gesetzentwürfe zur Verhütung von Terrorakten und zum Nachrichtendienst, Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen der Bekämpfung der COVID 19-Epidemie), aber auch auf europäischer Ebene (und insbesondere im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Digital Services Act und des Ditigital Markets Act) eingebunden.

Schließlich wirft der Bericht ein interessantes Licht auf die zukunftsorientierte Rolle der CNIL, insbesondere durch die vielfältigen Aktivitäten ihres Laboratoriums für digitale Innovation (LINC).

DATENSCHUTZ - Die CNIL erweitert ihre Anforderungen zu den Maßnahmen in Bezug auf Webseitenbesucherstatistiken

Am 10. Februar 2022 hatte die französische Datenschutzbehörde CNIL verschiedene Website-Betreiber, die das Statistik-Tool Google Analytics verwenden, wegen unrechtmäßiger Übermittlungen in die USA abgemahnt.

Der Grund dafür war, dass in den Fällen, die der CNIL vorgelegt wurden, personenbezogene Daten auf den Servern der Firma Google in den USA unter Bedingungen übertragen und gehostet wurden, die nicht mit den Vorschriften bezüglich der personenbezogener Daten übereinstimmten. Insbesondere warf die CNIL den Betreibern der geprüften Websites vor, nicht genügend Maßnahmen ergriffen zu haben, um den Daten der Websitebesucher ein Schutzniveau zu gewährleisten, das dem durch die DSGVO garantierten gleichwertig ist.

Um den für die Verarbeitung verantwortlichen Stellen, die Einhaltung der Vorschriften zu erleichtern, hat die CNIL kürzlich eine Reihe von Fragen und Antworten zu den Abmahnungen der CNIL bezüglich der Nutzung von Google Analytics veröffentlicht (siehe Link).

Darin heißt es unter anderem, dass Google auf Anfrage der CNIL zugegeben hat, “dass alle über Google Analytics gesammelten Daten in den USA gehostet werden“, was bedeutet, dass die Nutzung des Tools Google Analytics tatsächlich zu einer Datenübertragung außerhalb der Europäischen Union führt.

Die CNIL weist jedoch auch darauf hin, dass, selbst wenn keine Daten in die USA übertragen werden, “die Verwendung von Lösungen, die von Unternehmen angeboten werden, die einer außereuropäischen Rechtsprechung unterliegen, Schwierigkeiten beim Datenzugriff verursachen kann. Die Organisationen können nämlich von Behörden in Drittländern gezwungen werden, personenbezogene Daten, die auf Servern in der Europäischen Union gehostet werden, offenzulegen”.

Darüber hinaus hält die CNIL die technischen und organisatorischen Maßnahmen, die Google zur Abwendung der verschiedenen Risiken ergriffen hat, für unzureichend.

Um diese Mängel zu beheben, hat die CNIL auf ihrer Website zugleich auch eine Reihe von Empfehlungen für die Konfiguration von Webanalysetools veröffentlicht, um deren Nutzung mit den Vorschriften für personenbezogene Daten und insbesondere der DSGVO in Einklang zu bringen (siehe Link).

COMPLIANCE – Tätigkeitsbericht der AFA für 2021

5 Jahre nach ihrer Gründung erleben die Kontrolltätigkeiten der AFA im Jahr 2021 einen Aufschwung. Die AFA hat 34 neue Kontrollen und Vorabprüfungen eingeleitet, darunter 6 Durchführungskontrollen und 28 Initiativkontrollen. Seit Oktober 2017 wurden bis zum 31. Dezember 2021 insgesamt 159 Kontrollen und Prüfungen eingeleitet, darunter 108 Kontrollen und Prüfungen von Wirtschaftsakteuren und 51 Kontrollen von öffentlichen Akteuren. Die Zahlen für das Jahr 2021 beinhalten interessante Informationen.

In ihrem Bericht legt die AFA dar, dass es zwei Arten von Kontrollen gibt: auf Initiative des Direktors der AFA erfolgende Kontrollen sowie Durchführungskontrollen, die auf Sanktionen folgen.

Initiativkontrollen können sich entweder auf die Gesamtheit der Antikorruptionsmaßnahmen der kontrollierten Einheiten beziehen oder nur auf bestimmte Elemente, oder auf die Umsetzung der Empfehlungen abzielen, die nach einer vorherigen Initiativkontrolle abgegeben wurden.

Die Durchführungskontrollen zielen darauf ab, die Einhaltung der vom Sanktionsausschuss oder der in einer gerichtlichen Vereinbarung über das öffentliche Interesse (sog. CJIP) ausgesprochenen Anordnungen zur Einhaltung der Vorschriften zu gewährleisten.

Der Bericht zeigt, dass die AFA im Jahr 2021 34 neue Kontrollen und Vorprüfungen eingeleitet hat, davon 28 Initiativkontrollen und sechs Durchführungskontrollen. Von den 28 Initiativkontrollen betreffen 18 Kontrollen Wirtschaftsakteure, darunter vier globale Kontrollen (zwei bei börsennotieren Unternehmen des « CAC40 »), elf thematische Kontrollen von Unternehmen aus zwei besonders gefährdeten Wirtschaftszweigen und drei Folgekontrollen von Verwarnungen bei Unternehmen, die 2018 kontrolliert wurden. Diese 18 Kontrollen betrafen Unternehmen mit einem Umsatz zwischen € 187 Mio. und € 30 Mrd. und mit 1.000 bis 271.000 Mitarbeitern. Interessant ist, dass fünf geprüfte Unternehmen französische Tochtergesellschaften ausländischer Konzerne sind.

Die im Jahr 2021 eröffneten Kontrollen konzentrieren sich auf die Tätigkeitsbereiche und Akteure, die den Risiken am stärksten ausgesetzt sind. Gemäß ihrer Leitlinien berücksichtigt die AFA bei der Bestimmung der Risikogeneigtheit mehrere Faktoren, wie den erzielten Umsatz, das verwaltete Budget, die strategische Ausrichtung des Unternehmens (insbesondere im Hinblick auf den Anteil der Exporttätigkeiten und die internationale Ausrichtung, den Besitz von Schlüsseltechnologien, die mögliche Betroffenheit von forcierten strafrechtlichen Maßnahmen durch ausländische Strafverfolgungsbehörden usw.). Die AFA berücksichtigt auch die besonders gefährdeten Sektoren und Gebiete oder Länder, in denen die Organisationen ihre Aktivitäten entfalten, sowie die potenziellen Auswirkungen der Kontrollen auf die Verbreitung bewährter Praktiken innerhalb der Branche oder des Sektors sowie die an sie gerichteten Hinweise. So entfallen auf die verarbeitende Industrie ein Drittel der eingeleiteten Kontrollen, auf den Finanzsektor 16 %, das Baugewerbe 15 %, den Transportsektor 13 % und den Informations- und Kommunikationssektor 12 % der Kontrollen.

Die AFA hat außerdem neue Leitfäden für kleine und mittlere Unternehmen, Bauunternehmen, Vereine und Stiftungen sowie ein Spiel zur Korruptionsprävention entwickelt.

COMPLIANCE - Neues Rahmendokument zu wettbewerbsrechtlichen Compliance-Programmen

Am 24.05.2022 veröffentlichte die französische Wettbewerbsbehörde ein Rahmendokument zu wettbewerbsrechtlichen Compliance-Programmen. Dieses erläutert, welche konkreten und effizienten Maßnahmen zur Vorbeugung wettbewerbsrechtlicher Verstößen ergriffen werden sollten.

Am 10.02.2012 veröffentlichte die französische Wettbewerbsbehörde die Erstauflage eines Rahmendokuments zu wettbewerbsrechtlichen Compliance-Programmen. Mit dieser Veröffentlichung unterstrich die Behörde ihr Bestreben, die Compliance-Kultur in Unternehmen zu fördern.

Am 24.05.2022 veröffentlichte die Wettbewerbsbehörde eine Neufassung des Rahmendokuments, das die konkreten und effizienten Vorbeugungsmaßnahmen, die von den Unternehmen zu ergreifen sind, festlegt. Das Dokument dient den Unternehmen als Leitfaden, um deren Tätigkeiten im Einklang mit den wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen durchzuführen. Dadurch sollen Unternehmen ermutigt werden, Vorkehrungen gegen missbräuchliches oder wettbewerbswidriges Verhalten zu treffen, insbesondere durch die Einführung eines unternehmensspezifischen Compliance-Programms.

Die Wettbewerbsbehörde unterstreicht erneut die Sinnhaftigkeit und die Nützlichkeit von Compliance-Programmen. Das Rahmendokument beantwortet die Frage nach dem “Warum” der Einführung derartiger Programme, indem es darauf hinweist, dass die Vorteile insbesondere in einem freien und unverzerrten Wettbewerb, einer erleichterten Aufdeckung von Verstößen und einer umfassenderen Vorbeugung bestimmter Risiken bestehen.

Zur Beantwortung der Frage nach dem “Wie” erläutert das Dokument die Anforderungen und Merkmale, die ein effizientes Compliance-Programm aufzuweisen hat. Nach Ansicht der Behörde sollten Compliance-Programme drei Zielsetzungen verfolgen: (i) Vorbeugung von drohenden Verstößen (ii) Einführung von Maßnahmen zur Aufdeckung und Aufarbeitung von wettbewerbsrechtlichen Verstößen (iii) kontinuierliche Aktualisierung und Anpassung der Programme. Hierzu werden in dem Dokument fünf grundlegende Maßnahmen aufgeführt, die den Unternehmen bei der Einführung und der anschließenden Umsetzung des Compliance-Programms als Leitfaden dienen sollen, wobei die erste Maßnahme das Bekenntnis der Unternehmensleitung ist.

COMPLIANCE – KURZMELDUNG - Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen der Unternehmen, die keinen Sorgfaltsplan erstellt haben

Das sog. Klima und Resilienzgesetz (Loi « Climat et résilience ») vom 22.08.2021 zielt darauf ab, das Konsumverhalten mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu verändern. Ziel des Gesetzes ist u.a. die Begrenzung von Konsumanreizen durch die Regulierung der Werbebranche, die Förderung einer gesunden und nachhaltigen Ernährung, die Beschleunigung der grünen Transformation der Wirtschaft, die Stärkung des rechtlichen Schutzes der Umwelt und die Förderung erneuerbarer Energien.

Das Dekret Nr. 2022-767, welches verschiedene Änderungen des Gesetzbuchs über das öffentliche Auftragswesen (code de la commande publique) vornimmt, wurde im Amtsblatt vom 03.05.2022 veröffentlicht. Darin wird die Anwendung von Artikel 35 des sog. Klima und Resilienzgesetzes vom 22.08.2021 präzisiert.

Artikel 35 des Gesetzes hat einen Artikel L. 2141-7-1 im Gesetz über das öffentliche Auftragswesen geschaffen. Dieser ermöglicht es, Unternehmen, die der Pflicht zur Erstellung eines Sorgfaltsplans für das Jahr, das dem Jahr der Veröffentlichung der Ausschreibung oder der Einleitung der Konsultation vorausgeht, nicht nachkommen, vom Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags auszuschließen. Ein Durchführungsdekret wurde erwartet, um das Datum des Inkrafttretens dieser Bestimmung festzulegen. Das in Frage stehende Dekret wurde am 03.05.2022 veröffentlicht und sieht ein Inkrafttreten am Tag nach der Veröffentlichung des Dekrets vor, d.h. im vorliegenden Fall am 04.05.2022.

Zur Erinnerung: Das Gesetz über die Sorgfaltspflicht von Muttergesellschaften und auftraggebenden Unternehmen verpflichtet bestimmte Unternehmen, einen Sorgfaltsplan zu erstellen und umzusetzen. Der Sorgfaltsplan muss angemessene Maßnahmen enthalten, die geeignet sind, Risiken zu erkennen und schwere Verstöße gegen die Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Gesundheit und Sicherheit von Personen sowie die Umwelt zu verhindern, die sich aus den Tätigkeiten des Unternehmens und der von ihm direkt oder indirekt kontrollierten Unternehmen im Sinne von Artikel L. 233-16 II ergeben, sowie aus den Tätigkeiten von Subunternehmern oder Lieferanten, mit denen eine etablierte Geschäftsbeziehung besteht, wenn die Tätigkeiten mit dieser Beziehung in Verbindung stehen. Folglich können öffentliche Auftraggeber seit dem 04.05.2022 jedes Unternehmen, das einen Sorgfaltsplan erstellen muss und dieser Pflicht nicht nachkommt, von der Vergabe eines öffentlichen Auftrags ausschließen.

BAURECHT - Einstufung als Bauwerkhersteller und Haftung gegenüber dem Bauunternehmer

Mit Urteil vom 20.04.2022 hat der Kassationshof die Einstufung als Bauwerkhersteller (fabricant d’ouvrage) erläutert und dabei wiederholt, dass der Bauwerkhersteller gegenüber dem Bauunternehmer nicht seine zehnjährigen Haftung auslöst.

Der Bauwerkhersteller kann mit dem Bauunternehmer gesamtschuldnerisch aufgrund der zehnjährigen Haftpflicht gegenüber dem Bauherrn haften. Mit der eventuellen Einstufung eines Lieferanten als Bauwerkhersteller hängt also eine erweiterte Haftung als die allgemeine vertragliche Haftung ab. In der Praxis muss jeder Bauwerkhersteller eine zehnjährige Haftpflichtversicherung abschließen, was seine Kosten und somit seinen Preis erhöht.

Folglich ist die Einstufung als Bauwerkhersteller für die Lieferanten von Produkten für das Bauwesen von entscheidender Bedeutung. Die Rechtsprechung hat den Begriff des Bauwerkherstellers weit ausgelegt. Diese Einstufung erfolgt nach mehreren gesetzlich festgelegten Kriterien. Eines dieser Kriterien ist, eine „spezifische Arbeit, die für die Erfüllung eines besonderen Bedürfnisses bestimmt ist“. Das Urteil vom 20.04.2022 des Kassationshofs wendet dieses Kriterium an.

Ein Lieferant von in Deutschland hergestellten elektronischen Flutlichtern hat 264 Flutlichter, im Rahmen eines öffentlichen Bauauftrags, an einen Bauunternehmer geliefert. Diese Flutlichter befanden sich im Warenkatalog des Lieferanten. Der Bauunternehmer verlangte, dass die Flutlichter einem genauen Lastenheft entsprechen sollten. Die Flutlichter waren defekt. Der Bauherr verklagte den Bauunternehmer, der ihn entschädigte. Der Bauunternehmer verkündete dann den Streit an den Lieferanten der Flutlichter.

Vor dem Berufungsgericht argumentierte der Lieferant, dass er kein Bauwerkhersteller sei, da er einen Kaufvertrag mit dem Bauunternehmer geschlossen habe und keinen Werkvertrag.

Das Berufungsgericht war jedoch der Ansicht, dass die Lieferung der Flutlichte auf einem Werkvertrag beruht. Der Kassationshof bestätigte die Entscheidung des Berufungsgerichts in diesem Punkt.

Obwohl die Flutlichter im Katalog des Lieferanten enthalten waren, verlangte der Bauunternehmer, dass diese Flutlichter „mit einem zusätzlichen Schutz durch Rilsan-Beschichtung und mit einem Befestigungsbügel ausgestattet werden, der ebenfalls nach dem gleichen Verfahren behandelt und maximal gekürzt wird, um den Platzbedarf der Geräte zu verringern, so dass die Reinigung der Rinne erleichtert wird“. Die Bestellung der Flutlichter war daher eine Spezialarbeit, die auf spezifische Bedürfnisse zugeschnitten war. Folglich ist der Lieferant der Flutlichter ein Bauwerkhersteller.

Darüber hinaus erinnerte der Kassationshof daran, dass im Falle einer Streitverkündung des Bauunternehmers gegen den Bauwerkhersteller dieser nicht seine zehnjährige gesamtschuldnerische Haftung, sondern seine allgemeine vertragliche Haftung auslöst. In der Tat kann der Bauunternehmer, der den Bauunternehmer entschädigt, nicht die gleichen Rechte wie der Bauherr erhalten und somit die zehnjährige Haftung des Bauwerkherstellers auslösen.

GGVs Tipp: Jeder Lieferant von Produkten, die im Rahmen von Bauaufträgen an Bauunternehmern verkauft werden, muss vor jedem Verkauf das Risiko analysieren, als Bauwerkhersteller eingestuft zu werden, um eine zehnjährige Haftpflichtversicherung abzuschließen oder nicht. Darüber hinaus sollte der Lieferant der Haftungsbeschränkungsklausel im Vertrag mit dem Bauunternehmer besondere Aufmerksamkeit schenken.

IMMOBLIENRECHT - Die Umqualifizierung einer Garantie auf erstes Anfordern in eine Bürgschaft

In einem Urteil vom 09.03.2022 erinnerte der Kassationsgerichtshof an die Unterscheidung zwischen Bürgschaft und Garantie auf erstes Anfordern. Es reicht nicht aus, eine Sicherheit als Garantie auf erstes Anfordern zu bezeichnen, sie muss vor allem die Eigenschaften der Garantie auf erstes Anfordern erfüllen.

Die Begriffe Bürgschaft und Garantie auf erstes Anfordern werden manchmal unterschiedslos verwendet, um die Erfüllung von vertraglichen Verpflichtungen zu sichern.

Diese beiden Sicherheiten sind jedoch nicht von gleicher Art. Die Bürgschaft ist notwendigerweise eine akzessorische Sicherheit zu einer Hauptverpflichtung. Wenn also die Hauptverpflichtung nichtig oder beendet ist, ist auch die Bürgschaft nichtig oder beendet. Dieser akzessorische Charakter ermöglicht es dem Bürgen, eine Nichtigkeitseinrede oder eine Teilungseinrede geltend zu machen. Von diesen Rechten kann jedoch in der Bürgschaftsurkunde abweichend verfahren werden.

Die Garantie auf erstes Anfordern ist eine selbstständige Sicherheit. Sie kann nicht einer Hauptverpflichtung untergeordnet werden. Der Garantiegeber verpflichtet sich, dem Begünstigten einen bestimmten Betrag innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu zahlen. Der Begünstigte kann diese Garantie auf einfache Aufforderung oder gemäß den vereinbarten Bedingungen in Anspruch nehmen. Der Garantiegeber kann die Inanspruchnahme der Garantie nicht bestreiten. Die Inanspruchnahme der Garantie auf erstes Anfordern ist daher einfacher und effektiver als die Inanspruchnahme der Bürgschaft. Der Begünstigte einer Sicherheit gibt daher einer Garantie auf erstes Anfordern den Vorzug vor einer Bürgschaft.

In der Praxis können Verträge Sicherheiten vorsehen, die als „Garantie auf erstes Anfordern“ bezeichnet werden, aber nicht wirklich eine solche sind.

Im Urteil vom 09.03.2022 hatten die Parteien einen Basisvertrag abgeschlossen und zwei als „Garantie auf erstes Anfordern“ bezeichnete Sicherheiten vorgesehen. Die beiden Garantieurkunden legten fest, dass der Garantiegeber im Falle einer Kündigung des Basisvertrags die Beträge schuldet, die der garantierte Schuldner dem Begünstigten zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kündigung schuldet. Die Beträge könnten aus fälligen oder künftig fällig werdenden Rechnungen resultieren.

Der Garantiegeber bestritt die Inanspruchnahme dieser Sicherheiten und machte geltend, dass es sich nicht um Garantien auf erstes Anfordern, sondern in Wirklichkeit um Bürgschaften handele. Der Kassationshof gab ihm Recht und qualifizierte die beiden Sicherheiten als Bürgschaften.

Tatsächlich musste der Garantiegeber im Falle einer Kündigung des Basisvertrags für alle Beträge garantieren, die der garantierte Schuldner dem Begünstigten noch schuldete. Der Garantiegeber war daher nicht verpflichtet, eine bestimmte, von der Schuld des Hauptschuldners getrennten Betrag zu garantieren. Die Sicherheit war daher in Bezug auf den Basisvertrag nicht selbständig, so dass es sich um eine Bürgschaft handelte.

Diese Umqualifizierung der Garantie auf erstes Anfordern in eine Bürgschaft benachteiligte den Begünstigten der Sicherheit, da sie dem Bürgen die Möglichkeit gab, die Inanspruchnahme der Sicherheit zu bestreiten.

GGVs Tipp: Der Begünstigte einer Garantie auf erstes Anfordern muss der Verfassung des Garantievertrags auf erstes Anfordern besondere Aufmerksamkeit widmen, um zu vermeiden, dass dieser vom Gericht in eine Bürgschaft umqualifiziert wird.

IMMOBILIENRECHT - Pflichtversicherungen für Bauvorhaben- Entschädigung des Bauherrn für den fehlenden Abschluss einer Versicherung erst bei Eintritt des Schadens.

Im Rahmen von Renovierungs- und Bauprojekten werden Pflichtversicherungen entweder vom Bauherrn oder vom Bauunternehmer im Namen des Bauherrn abgeschlossen, die den Bauherrn im Falle bestimmter Schäden, die nach der Übergabe des Bauwerks eintreten, absichern.

Was passiert, wenn die Parteien vereinbart haben, dass der Bauunternehmer eine Bauschadensversicherung und eine zehnjährige Garantie abschließt, und der Bauherr nach der Übergabe feststellt, dass der Bauunternehmer keinen solchen Versicherungsvertrag abgeschlossen hat?

Im vorliegenden Fall hatte der Bauherr gegen seinen Bauunternehmer Ansprüche auf Ersatz seines Schadens geltend gemacht, der ihm durch die Wertminderung des Gebäudes und die Unordnung im Zusammenhang mit dem Fehlen der obligatorischen zehnjährigen Versicherung und der Bauschadensversicherung entstanden war.

In dem Urteil des Kassationsgerichtshofs erkannte dieser dem Bauherrn das Recht zu, die Rückerstattung der Beträge zu erhalten, die den Kosten für den Abschluss der Bauschadensversicherung entsprachen. Er bestätigte jedoch die Entscheidung des Berufungsgerichts, das festgestellt hatte, dass dem Antrag des Bauherrn auf Gewährung von Schadensersatz wegen fehlender zehnjähriger Versicherung nicht stattgegeben werden kann, wenn kein aktueller Schaden vorliegt.

Der Kassationsgerichtshof entschied insbesondere, dass dieser Schaden nur ein potentieller Schaden sei, solange kein Schadensfall tatsächlich eingetreten sei und das Gebäude nicht verkauft worden sei.

Diese Lösung entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass in Haftungsfragen nur ein aktueller Schaden und nicht nur ein möglicher Schaden ersetzt werden kann. Die Reichweite dieses Grundsatzes kann jedoch zu einem Ungleichgewicht führen, das insbesondere im Bauwesen den Bauherrn benachteiligt, was durch diese jüngste Entscheidung veranschaulicht wird. Der Bauherr hat erst dann einen Regressanspruch gegen den Bauunternehmer, wenn der Schadensfall tatsächlich eingetreten ist.

GGVs Tipp: Wir begleiten Ihre Bau- und Renovierungsprojekte und unterstützen Sie bei der Überprüfung der Dokumentation und des Abschlusses der Versicherungen durch den Bauunternehmer.

FINANZWESEN - Bankenmonopol und Vorschüsse auf Rabatte - keine Annullierung eines Vertrags, der unter Missachtung des Bankenmonopols eingegangen wurde.

Gemäß Artikel L511-5 des Code monetaire et financier ist es jeder Person, die kein Kreditinstitut ist, untersagt, üblicherweise Kreditgeschäfte zu tätigen.

Die Ausnahmen vom Bankmonopol sind in Artikel L. 511-7 desselben Gesetzbuchs aufgeführt, der insbesondere vorsieht, dass das Bankmonopol ein Unternehmen nicht daran hindert, seinen Vertragspartnern bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit Zahlungsfristen oder -vorschüsse zu gewähren.

In einem kürzlich ergangenen Urteil konnte das Kassationsgericht über die Einstufung von Vorschüssen auf Rabatte als Kreditgeschäft entscheiden. Es hatte zusätzlich über das Schicksal einer Verpflichtung zur Rückzahlung dieses Kredits entscheiden, die unter Missachtung des Bankmonopols eingegangen worden war.

Im Rahmen eines zwischen zwei Unternehmen geschlossenen Vertrags gewährte das Verkäuferunternehmen seinem Vertragspartner einen Rabattvorschuss in Höhe von 30.000 €, den dieses in fünf Jahresraten in Höhe von 6.833 € zu tilgen hatte. Der Geschäftsführer des Unternehmens, zu dessen Gunsten der Rabattvorschuss gewährt wurde, und seine Ehefrau übernahmen gegenüber dem Verkäuferunternehmen eine Bürgschaft für diese Verpflichtung.

Als das Unternehmen, dem die Rabattvorschüsse gewährt wurden, in Konkurs ging, verklagte die Verkäuferin die Bürgen auf Zahlung des noch ausstehenden Betrags für die Rabattvorschüsse. Die Bürgen trugen vor, dass das Geschäft mit den Rabattvorschüssen als Kreditgeschäft einzustufen sei, dass dementsprechend das Geschäft für nichtig zu erklären sei, wodurch die Nebenverpflichtung der Bürgen ebenfalls nichtig wäre.

Das Kassationsgericht, das mit dieser Frage befasst wurde, bestätigte das Berufungsgericht, das den Rabattvorschuss als Darlehen und somit als Kreditgeschäft eingestuft hatte. Gleichzeitig sanktionierte es das Darlehensgeschäft nicht mit Nichtigkeit, sondern entschied, dass “die bloße Tatsache, dass ein Kreditgeschäft unter Missachtung dieses Verbots [üblicherweise Kreditgeschäfte zu tätigen, Anm.d.R.] abgeschlossen wurde, nicht geeignet ist, dessen Nichtigkeit herbeizuführen”.

Damit hat das Kassationsgericht seine Entscheidung an die Grundsatzposition angepasst, die es seit seinem Urteil vom 4. März 2005 über die Tätigkeit ausländischer Banken ohne Zulassung durch die französische Regulierungsbehörde vertreten hatte.

Auch wenn seine Auslegung der Ausnahmen vom Bankenmonopol streng ist, hat das Kassationsgericht dennoch die von den Bürgen gegenüber der kreditgebenden Gesellschaft eingegangene Verpflichtung gerettet.

Allerdings ist dieses Grundsatzurteil mit einem Vorbehalt versehen, was darauf hindeutet, dass die Sanktion der Nichtigkeit angesichts der Umstände des Einzelfalls, die ein solches Kreditgeschäft umgeben, möglicherweise ausgesprochen werden könnte, wenn ein Kredit unter Missachtung des Bankenmonopols gewährt wurde.

Die Frage der strafrechtlichen Sanktionen war nicht Gegenstand des Rechtsstreits, der dem vorgestellten Urteil zugrunde lag.

GGVs Tipp: Wir begleiten Sie bei der Aushandlung Ihrer Handelsverträge und bei deren Umsetzung.

ARBEITSRECHT - KURZMELDUNG - Erweiterung des Inhalts der Datenbank für wirtschaftliche und soziale Daten (BDES) um Informationen über die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit des Unternehmens auf die Umwelt

Um die neuen Kompetenzen des Betriebsrats (Conseil social et économique, CSE) im Bereich Umwelt zu berücksichtigen, hat das “Klimagesetz” vom 22. August 2021 den Inhalt der Datenbank BDES erweitert, die nunmehr als Datenbank für wirtschaftliche, sozial und Umweltdaten  (BDESE) bezeichnet wird. Diese Datenbank fasst alle Informationen zusammen, die für die regelmäßigen Anhörungen und Mitteilungen erforderlich sind und die dem Betriebsrat in Unternehmen mit mehr als 50 Arbeitnehmern zur Verfügung gestellt werden muss.

Mit dem oben genannten Gesetz wurden n die Artikel L.2312-21 und L.2312-36 des französischen Arbeitsgesetzbuchsgeändert und  eine neue Rubrik der Datenbank BDESE mit dem Titel “Auswirkungen der Geschäftstätigkeit des Unternehmens auf die Umwelt” geschaffen.

Mit Verordnung Nr. 2022-678 vom 26. April 2022 wurde in den Artikeln R.2312-8 und R2312-9 des französischen Arbeitsgesetzbuchs festgelegt, welche Umweltindikatoren der Arbeitgeber in dieser Rubrik aufnehmen muss, sofern keine Betriebsvereinbarung abgeschlossen wurde, die den Inhalt der Datenbank BDESE festlegt.

GGV rät Unternehmen mit mehr als 50 Arbeitnehmern, die Informationen in der Datenbank BDESE zu aktualisieren, die dem Betriebsrat für die Anhörungen über die  strategische Ausrichtung des Unternehmens, die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens sowie der Sozialpolitik des Unternehmens, den Arbeitsbedingungen und der Beschäftigung zur Verfügung gestellt werden müssen.

ARBEITSRECHT – KURZMELDUNG – Der Kassationsgerichtshof bestätigt die Rechtmäßigkeit der Schadensersatztabelle für Arbeitnehmer, die ohne rechtfertigenden Grund entlassen wurden

Mit zwei Urteilen vom 11. Mai 2022 (Rechtsmittel Nr. 21-14.490 und 21-15.247) bestätigte der französischen Kassationsgerichtshof die Rechtmäßigkeit der aus der Verordnung Nr. 2017-1387 vom 22. September 2017 hervorgegangenen “Macron-Tabelle“, die einen Rahmen für die Entschädigung festlegt, welche einem ohne rechtfertigenden Grund entlassenen Arbeitnehmer zusteht. Damit beendete das Gericht die Debatte über deren Vereinbarkeit im Hinblick auf Artikel 10 des Übereinkommens Nr. 158 der Internationalen Arbeitsorganisation und Artikel 24 der Europäischen Sozialcharta.

Mit diesem Urteil schloss der Kassationsgerichthof auch die Möglichkeit für Instanzgerichte aus, von der Anwendung der Tabelle im Einzelfall abzuweichen, um die persönliche Situation eines Arbeitnehmers und die Umstände der Kündigung seines Arbeitsvertrags zu berücksichtigen.

Die Mindest- und Höchstbeträge für den Schadensersatz lassen sich aus der Tabelle in Artikel L.1235-3 des Arbeitsgesetzbuchs entnehmen. Diese  Beträge sind abhängig vom Gehalt des Arbeitnehmers, der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit  und der Anzahl der Beschäftigten des Unternehmens.

GGV erinnert daran, dass die Tabelle im Falle einer nichtigen Kündigung keine Anwendung findet. Im Falle einer Kündigung, die z.B. gegen Freiheitsrechte verstößt, im Zusammenhang mit Mobbing oder sexueller Belästigung steht oder die diskriminierend ist, können die Gerichte die Höhe des Schadensersatzes festlegen, der mindestens den letzten sechs Monatsgehältern entsprechen muss.

CORPORATE - Was das « juste motif » und der «wichtige Grund» gemeinsam haben

Bei der Entlassung von Geschäftsführungsorganen kann sowohl im deutschen, als auch im französischen Recht folgender unbestimmter Rechtsbegriff Relevanz erlangen: das « juste motif », oder auch der « wichtige Grund ». Seine mangels Legaldefinition nicht immer eindeutigen Konturen ergeben sich durch richterliche Auslegung.

Während Art. 225-61 des französischen Handelsgesetzbuches die Regel aufstellt, dass eine Entlassung von Geschäftsführungsorganen ohne « juste motif » zu Schadensersatz führen kann, ist im deutschen Handelsgesetzbuch in § 38 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder in § 75 Abs. 4 des Aktiengesetzes ein Äquivalent in Form eines besonderen Widerrufsgrundes der Bestellung der Geschäftsführung zu finden.

Abstrakt könnte man das Vorliegen dieses Merkmals dann annehmen, wenn der weitere Verbleib des Geschäftsführungsorgans in seiner Position der Gesellschaft und den Gesellschaftern bei Würdigung aller Umstände und unter Berücksichtigung der betroffenen Interessen nicht länger zugemutet werden kann. Konkretisierende Rechtsprechung ist vielfältig vorhanden und erstreckt sich unter anderem von grober Pflichtverletzung bis hin zu anhaltenden Meinungsverschiedenheiten mit den Gesellschaftern, sowie schwerem Vertrauensbruch.

So nahm das Oberlandesgericht Karlsruhe die Rechtmäßigkeit der Abberufung eines Geschäftsführers aufgrund eines Wettbewerbsverstoßes an (OLG Karlsruhe, 25.06.2008 – 7 U 133/07). Der französische Kassationshof bejahte dagegen im Grundsatz eine Abberufung wegen offensichtlicher Illoyalität, begnügte sich im spezifischen Fall damit allerdings letztlich nicht, weil diese « nicht so schwerwiegend waren, dass eine sofortige Beendigung des Mandats gerechtfertigt wäre » (C. Cass. arrêt « Vilgrain », C. Cass., Chambre commerciale, 8 avril 2014, 13-11.650).

Zuletzt gewann das Thema an Aktualität, als der französische Kassationshof das Vorliegen eines « juste motif » in seiner Entscheidung vom 30.03.2022 zu beurteilen hatte (Com. 30 mars 2022, F-B, nos 20-16.168 et 20-17.354). Der Kläger berief sich darauf, es läge kein wichtiger Grund für seine Entlassung vor, da sie aus dem alleinigen Interesse geschah, eine neue Unternehmensführung einzusetzen. Und er bekam Recht : Im vorliegenden Fall konnte die Absicht, eine neue Unternehmensführung einzuführen, keinen wichtigen Grund für die Abberufung darstellen, da die Gesellschaft nicht festgestellt hatte, inwiefern die Entscheidung zur Abberufung für die Wahrung des Gesellschaftsinteresses notwendig war.

CORPORATE - Societas delinquere (non) potest

Während dem deutschen Recht, treu dem Grundsatz „Die Gesellschaft kann sich nicht vergehen“, das Konstrukt der Verbandsstrafe fremd ist, bestätigt der französische Kassationsgerichtshof in seiner jüngsten Rechtsprechung gar eine Übertragung der strafrechtlichen Verantwortung der übernommenen auf die übernehmende Gesellschaft.

Bisher steht einer Einführung der Verbandsstrafbarkeit durch den deutschen Gesetzgeber nach herrschender Ansicht die Unvereinbarkeit mit dem strafrechtlichen Schuldverständnis entgegen. Dieses setzt nach dem Bundesgerichtshof nämlich voraus, dass der potenzielle Täter sich für das Unrecht bewusst entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten hätte können (BGH NJW 1953, 593, 594). Unternehmen wird ein solches Bewusstsein bisher vehement abgesprochen.

In Frankreich existiert das Konstrukt der Verbandsstrafbarkeit bereits seit 1994. Demnach sind gemäß Art. 121-2 des französischen Strafgesetzbuches juristische Personen für die in ihrem Namen von ihren Organen oder Vertretern begangenen Taten strafrechtlich verantwortlich und nach sämtlichen Tatbestanden bestrafbar, derer sich auch natürliche Personen strafbar machen können.

Aber nicht nur das: Wir erinnern an die historische Grundsatzentscheidung des französischen Kassationsgerichtshofs vom 25.11.2020, in der dieser die strafrechtliche Verantwortung einer übernehmenden Gesellschaft für Taten zuließ, die von der übernommenen Gesellschaft vor ihrer Auflösung durch Verschmelzung und Übernahme begangen wurden. Zur Begründung führte das Gericht die wirtschaftliche und funktionale Kontinuität der juristischen Person an, womit sich die Entscheidung in den Grenzen des Grundsatzes der persönlichen strafrechtlichen Verantwortung gem. 121 – 1 des französischen Strafgesetzbuches bewege. Die Grenzen der Reichweite der Übertragbarkeit der strafrechtlichen Verantwortung sind grundsätzlich auf Geldstrafen, Aktiengesellschaften und Verschmelzungsvorgänge nach dem 25.11.2020 beschränkt. Hatte die Fusion zum Ziel, die übernommene Gesellschaft ihrer strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen, entfallen diese Hürden gänzlich, d.h. ohne Einschränkungen hinsichtlich der betroffenen Gesellschaftsformen, der Art der Sanktionen, oder des Zeitpunkts der betroffenen Verschmelzungen.

Der Kassationshof bestätigt dieses Ergebnis nun auch in seinem jüngsten Urteil vom 13.04.2022 und sagt damit weiterhin Unternehmen den Kampf an, die sich durch Fusionen ihrer strafrechtlichen Verantwortung entziehen wollen.