Deutsch-Französischer Informationsbrief | Oktober 2018

In diesem zweisprachigen Informationsbrief möchten wir Sie über aktuelle rechtliche und steuerrechtliche Entwicklungen in Deutschland und Frankreich informieren. Dieser Brief ist von der Deutsch-Französischen Équipe von GGV verfasst, die sich auf die Beratung von Unternehmen aus französischsprachigen Ländern in Deutschland und von Unternehmen aus deutschsprachigen Ländern in Frankreich spezialisiert hat.

News Frankreich

  1. ARBEITSRECHT - Bekämpfung von sexueller Belästigung : neue Pflichten für Unternehmen
  2. ARBEITSRECHT - Änderungen der gesetzlichen Bestimmungen über Arbeitnehmerentsendungen durch das Gesetz „berufliche Zukunft“
  3. STEUERRECHT - Die von der Quellensteuer betroffenen Einkommen von Nichtansässigen
  4. STEUERRECHT - Verrechnungspreise: Angaben zu Inhalt und Format der Dokumentation
  5. HANDELSRECHT - Schlusspunkt in der Saga „Caudalie“ der Hersteller kann Drittanbieterplattformen aus seinem selektiven Vertriebsnetz ausschließen
  6. HANDELSRECHT - Entschädigung des Handelsvertreters während der Probezeit
  7. GESELLSCHAFTSRECHT - Genehmigung des Jahresabschlusses
  8. GESELLSCHAFTSRECHT - Klauseln zur Beschränkung von Befugnissen: nicht durchsetzbar gegen Dritte, aber von diesen Dritten einforderbar
  9. GESELLSCHAFTSRECHT - Details zur Laufzeit einer Aktionärsvereinbarung
  10. GGV in eigener Sache

News Frankreich

ARBEITSRECHT - Bekämpfung von sexueller Belästigung : neue Pflichten für Unternehmen

In diesem Sommer hat der Gesetzgeber mehrere gesetzliche Regelungen zur Bekämpfung von sexueller Belästigung sowie von sexistischem Verhalten und Übergriffen verabschiedet. Die neuen gesetzlichen Regelungen gehen mit neuen Pflichten für den Arbeitgeber einher, die nachfolgend dargestellt werden. Die neuen Regelungen werden spätestens am 1.1.2019 in Kraft treten.

Unternehmen, die 250 Arbeitnehmer oder mehr beschäftigen, müssen einen Referenten bestellen, dessen Aufgabe es ist, die Arbeitnehmer im Bereich der Bekämpfung von sexueller Belästigung und sexistischem Verhalten zu orientieren, zu informieren und zu begleiten. Die Unternehmen müssen in Abhängigkeit von ihrer Organisation entscheiden, ob sie diese Aufgabe dem Referenten für das Hinweisgeber-System oder einer anderen Person anvertrauen. Unternehmen, die Schwierigkeiten haben, einen Mitarbeiter zu finden, der diese Aufgabe wahrnehmen möchte, können einen externen Referenten, z.B. einen Rechtsanwalt beauftragen.

Wurde ein Sozial- und Wirtschaftskomitee (Comité Social et Economique) eingerichtet, muss dieses eines seiner gewählten Mitglieder zum Referenten für die Bekämpfung von sexueller Belästigung bestellen. Diese Pflicht besteht unabhängig von der Personalstärke ab dem Zeitpunkt der Einrichtung eines Sozial- und Wirtschaftskomitees. Dieser Referent muss die Fortbildung für Personalvertreter im Bereich Gesundheit, Sicherheit und Arbeitsbedingungen erhalten. Die Pflicht zur Bestellung eines Referenten durch das Sozial- und Wirtschaftskomitee besteht unabhängig von der oben genannten Pflicht des Arbeitgebers zur Bestellung eines eigenen Referenten.

Außerdem wurden die Informationspflichten im Zusammenhang mit der Bekämpfung von sexueller Belästigung und sexistischem Verhalten verstärkt. Der Arbeitgeber muss am Arbeitsort die Bestimmungen des Strafgesetzbuches über die sexuelle Belästigung, Informationen über Zivil- und Strafverfahren im Bereich der sexuellen Belästigung sowie die Kontaktdaten der zuständigen Behörden aushängen (ein noch nicht erlassenes Dekret wird eine Liste dieser Behörden enthalten).

ARBEITSRECHT - Änderungen der gesetzlichen Bestimmungen über Arbeitnehmerentsendungen durch das Gesetz „berufliche Zukunft“

Das Gesetz „für die Freiheit der Wahl seiner beruflichen Zukunft“, das am 9.9.2018 veröffentlicht wurde, enthält unter anderem ein Kapitel III mit „Maßnahmen bezüglich der Entsendung von Arbeitnehmern und der Bekämpfung illegaler Beschäftigung“.

Bei einem Teil der Maßnahmen handelt es sich um Vereinfachungen, bei anderen um die Verschärfung von Sanktionen.

Zu den Vereinfachungen gehört die Befreiung von der Pflicht zur vorherigen Meldung der Entsendung und zur Bestellung eines Vertreters in Frankreich. Diese ist in Fällen anwendbar, in denen die Entsendung zur Erbringung von Dienstleistungen und für Vorgänge mit einer kurzen Dauer oder im Rahmen punktueller Ereignisse erfolgt, und betrifft Arbeitnehmer die eine der Tätigkeiten ausüben, die in einer noch ausstehenden Ministerialverordnung genannt sein werden. Gegenstand dieser Verordnung werden außerdem die Dauer der Dienstleistungen bzw. der Vorgänge sowie der Referenzzeitraum für diese Dauer sein. Die Entsendung von Arbeitnehmern zur Teilnahme an Messen oder an einer Besprechung bei einer französischen Gesellschaft des Konzerns sind von diesen Fällen der Befreiung betroffen.

Muss kein Vertreter in Frankreich bestellt werden, dann ist der Arbeitgeber dazu verpflichtet, der Arbeitsinspektion direkt alle Arbeitsunfälle der von ihm entsandten Arbeitnehmer zu melden.

Außerdem kann ein Arbeitgeber, der regelmäßig Arbeitnehmer entsendet, bei der Arbeitsinspektion Erleichterungen bezüglich seiner Pflichten zur Meldung der Entsendungen und zur Bestellung eines Vertreters sowie zur Vorlage von Dokumenten beantragen. Diese Erleichterungen können für eine Dauer von höchstens einem Jahr gewährt werden. Voraussetzung hierfür ist, dass der Arbeitgeber belegen kann, dass er seine gesetzlichen und tarifvertraglichen Pflichten beachtet. Diese Erleichterungen werden Gegenstand einer noch ausstehenden Rechtsverordnung sein.

Das Gesetz „berufliche Zukunft“ hat die Höhe der möglichen Geldbußen verdoppelt sowie die Dauer, die für die Prüfung des Vorliegens einer Wiederholungstat berücksichtigt wird.

Das Gesetz berufliche Zukunft dehnt weiterhin die Überwachsungspflichten des Auftraggebers auf die Prüfung der Zahlung von etwaigen Geldbußen durch seinen Auftragsnehmer aus. Außerdem kann der Arbeitsinspektor, sollten Geldbußen nicht gezahlt werden, anordnen, dass die Erbringung der Dienstleistung, für die die Entsendungen erfolgt sind, ausgesetzt wird. Rechtsmittel gegen Geldbußen werden in Zukunft keine aufschiebende Wirkung mehr haben.

Die oben genannten Maßnahmen werden am 1.1.2019 in Kraft treten. Die hierfür notwendigen Verordnungen sollen im November veröffentlicht werden.

STEUERRECHT - Die von der Quellensteuer betroffenen Einkommen von Nichtansässigen

Bisher war Frankreich eines der wenigen Länder, in dem die Einkommensteuer nicht direkt vom Arbeitgeber erhoben wurde, sondern im auf die Gehaltszahlungen folgenden Jahr von dem Steuerpflichtigen bezahlt wurde. Die Quellensteuer wurde nur auf die von den nichtansässigen Arbeitnehmern erzielten Gehälter erhoben. Der Abzug der Einkommensteuer an der Quelle (sog. „prélèvement à la source“ oder „PAS“) tritt am 1.1.2019 in Kraft. Ein Teil der von Nichtansässigen erzielten Einkünfte bleibt jedoch von diesem System ausgeschlossen.

Die steuerliche Behandlung von Einkünften, die der Quellensteuer unterliegen, wie z.B. Gehälter im Zusammenhang mit einer in Frankreich ausgeübten Tätigkeit oder die von einer französischen Einrichtung gezahlten Renten, bleibt unverändert. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Quellensteuer bis zum 15. des Monats, der auf das Kalenderquartal folgt in dem die betroffenen Beträge gezahlt wurden, einzubehalten und an die zuständigen Steuerbehörden abzuführen.

Andere Einkünfte, wie z.B. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung oder Einkünfte von Selbständigen, die von Nichtansässigen erzielt werden und die bislang nicht der Quellensteuer unterlagen, sind ab dem 1.1.2019 vom „PAS“ betroffen.

Diese Einkünfte werden daher Abschlagszahlungen unterliegen, deren Höhe auf Basis der Angaben der in 2018 abgegebenen Einkommensteuererklärung berechnet und automatisch vom Bankkonto des Steuerpflichtigen eingezogen werden. Der anzuwendende Quellensteuersatz ist im Feld „Informationen zur Quellensteuer 2019″ („Informations concernant le prélèvement à la source 2019“) des Einkommensteuerbescheids angegeben.

Wenn der Steuerpflichtige nur Einkünfte hat, die nicht dem „PAS“ unterliegen, wird im Feld “Informationen zur Quellensteuer 2019” der Vermerk “NC” (nicht berechnet) im Hinblick auf den Quellensteuersatz angegeben und folgendes erwähnt: “Angesichts des deklarierten Einkommens und Ihrer Situation wurde von der Verwaltung kein personalisierter Satz berechnet”.

Ein Nichtansässiger kann daher sowohl vom „PAS“ für einen Teil seines Einkommens als auch von der bisher anwendbaren Quellensteuer betroffen sein, je nach Art der erhaltenen und in Frankreich steuerpflichtigen Beträge.

STEUERRECHT - Verrechnungspreise: Angaben zu Inhalt und Format der Dokumentation

Französische Unternehmen, deren Umsatz vor Steuern oder deren Bruttovermögen in der Bilanz € 400 Mio. übersteigt, unterliegen Dokumentationspflichten bezüglich der Verrechnungspreise. Dies gilt auch für diejenigen Gesellschaften, deren Kapital von diesen Unternehmen gehalten wird oder die eine solche Gesellschaft halten (direkt oder indirekt). Für Geschäftsjahre, die am oder nach dem 1.1.2018 beginnen, müssen die Verrechnungspreisdokumentationen den von der OECD definierten internationalen Standards entsprechen (Aktion 13 des BEPS-Plans). Die daraus resultierenden neuen französischen Vorschriften haben einen strikten Formalismus mit einer umfassenderen Informationspflicht eingeführt.

Basierend auf dem neuen Wortlaut von Artikel L.13 AA der Abgabenordnung („LFP“), der sich aus dem Finanzgesetz 2018 ergibt, muss die Verrechnungspreisdokumentation nunmehr (i) eine Stammdokumentation („Masterfile“) und (ii) eine Einzeldokumentation („Localfile“) enthalten. Diese Präsentation steht im Einklang mit den Arbeiten der OECD im Rahmen des BEPS-Plans. Mit Verordnung vom 29.06.2018 wurde ein Artikel R.13 AA-1 in die LPF aufgenommen, der den Inhalt und die Präsentation dieser Dokumentation sehr ausführlich regelt. Aufgrund dieser neuen Bestimmungen hat die Steuerverwaltung ihre eigenen Kommentare am 18.7.2018 aktualisiert.

Französische Unternehmen, die unter den Anwendungsbereich fallen, müssen von jetzt an eine Dokumentation in elektronischer Form (z.B. PDF) sowie alle für die Dokumentation verwendeten numerischen Datentabellen (z.B. Excel) den Steuerbehörden zur Verfügung stellen. Grundsätzlich muss die Dokumentation in französischer Sprache verfasst sein. Die Steuerverwaltung kann eine Übersetzung eines in einer Fremdsprache verfassten Dokuments verlangen.

Die Dokumentation muss aus zwei Dateien bestehen, deren Gliederung die Reihenfolge und die Überschriften der gesetzlich vorgesehenen Abschnitte respektieren muss:

Eine Stammdokumentation, deren Inhalt einen Überblick über die Aktivitäten des Konzerns, die globale Verrechnungspreispolitik und die weltweite Gewinnverteilung gibt. Diese Dokumentation muss folgender Gliederung folgen:

  1. Organisationsaufbau des multinationalen Konzerns
  2. Beschreibung der Geschäftstätigkeit bzw. der Geschäftstätigkeiten des multinationalen Konzerns
  3. Immaterielle Werte des multinationalen Konzerns
  4. Konzerninterne Finanztätigkeiten
  5. Finanzielle und steuerliche Situation des multinationalen Konzerns

Eine Einzeldokumentation, deren Inhalt die konzerninternen Transaktionen detailliert beschreibt, die von der die Dokumentation erstellenden lokalen Einheit getätigt werden. Diese Dokumentation muss folgender Gliederung folgen:

  1. Unternehmen in Frankreich
  2. Kontrollierte Transaktionen
  3. Finanzinformationen

Die betroffenen Unternehmen müssen ihre Dokumentation zwangsläufig nach den neuen Regeln aktualisieren. Andernfalls müssen sie mit Sanktionen rechnen, wenn die Informationen unvollständig sind. Teilweise Informationen werden mit einer Geldstrafe von bis zu dem höchsten der folgenden drei Beträge geahndet: (i) 0,5 % des Betrags der betreffenden Transaktionen, (ii) 5 % der Ergebnisberichtigungen oder (iii) € 10.000.

HANDELSRECHT - Schlusspunkt in der Saga „Caudalie“ der Hersteller kann Drittanbieterplattformen aus seinem selektiven Vertriebsnetz ausschließen

Mit Beschluss vom 13.7.2018 hat das Pariser Berufungsgericht, das aufgefordert wurde, über die Rechtmäßigkeit des selektiven Vertriebsnetzes von Caudalie zu entscheiden, die zögerliche Haltung der Rechtsprechung bezüglich des Status der Plattformen von Drittanbietern beendet.

Im Jahr 2013 stellte die Gesellschaft Caudalie fest, dass ihre Produkte auf 1001pharmacies.com vertrieben wurden. Um zu gewährleisten, dass die Produkte ausschließlich in ihrem  Vertriebsnetze veräußert werden, leitete sie ein Eilverfahren ein, um die Vermarktung ihrer Produkte auf dieser nicht autorisierten Drittanbieterplattform unter Geltendmachung einer offensichtlich rechtswidrigen Störung zu unterbinden.

Nach Aufhebung und Rückverweisung der Entscheidung durch den Kassationshof musste das Pariser Berufungsgericht erneut über die Rechtmäßigkeit des selektiven Vertriebsnetzes von Caudalie entscheiden, um festzustellen, ob der Weiterverkauf der Produkte durch eine Drittanbieterplattform eine solche Störung darstellt.

Um die Rechtmäßigkeit des selektiven Vertriebsnetzes von Caudalie zu rechtfertigen, wendet das Pariser Berufungsgericht die Rechtmäßigkeitskriterien an, die in der Rechtsprechung Coty des EuGH entwickelt wurden:

  • Die Auswahl der Vertriebshändler durch den Lieferant erfolgt nach objektiven und qualitativen Kriterien, die für alle potenziellen Wiederverkäufer einheitlich festgelegt sind.
  • Diese Kriterien werden ohne Diskriminierung angewandt.
  • Die definierten Kriterien gehen nicht über das hinaus, was zum Schutz des Luxus-Images der vertriebenen Produkte notwendig ist.

Unter Anwendung dieser Kriterien bestätigte das Pariser Berufungsgericht die Rechtmäßigkeit des selektiven Vertriebsnetzes und betonte, dass “die Produkte der Marke Caudalie Luxusprodukte sind”.

Das Berufungsgericht führt dann eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch, um zu überprüfen, ob das Verbot, das Caudalie den Apothekern innerhalb des Vertriebsnetzes auferlegt hat, nicht über das hinausgeht, was zur Erhaltung dieses Images notwendig ist. In Anbetracht der Tatsache, dass die Produkte von Caudalie neben Feuermeldern präsentiert wurden, kommt das Gericht zu dem Schluss, dass dieser Umstand “das Luxusimage, das Caudalie zu Recht schützen möchte, beschädigen könnte”.

Das Berufungsgericht weist insbesondere darauf hin, dass die Gültigkeit von Klauseln, die den Verkauf über Drittanbieterplattformen in selektiven Vertriebsverträgen verbieten, nicht auf Luxusprodukte beschränkt ist.

Das Gericht hat jedoch nicht über die Konturen des Begriffs “Luxus” entschieden. Ebenso fehlt es bedauernswerterweise an einer genauen Definition dieses Begriffs.

Es liegt daher an den Gerichten, diesen Begriff zu definieren, insbesondere im Hinblick auf die Seltenheit der Produkte, ihrer technischen Natur, der Anwendung von Know-how oder auch das durch die Marke vermittelte Image.

Die Rechtsprechung scheint sich jedoch mit der Caudalie-Entscheidung in Richtung eines weiten Luxusbegriffs zu bewegen, insbesondere indem sie in Apotheken angebotene Drogerie- und Kosmetikprodukte unter diesen Begriff fasst.

Generell kann festgehalten werden, dass die Rechtmäßigkeit des Verbots des Verkaufs auf Drittanbieterplattformen deutlich über das Luxussegment hinausgeht.

Dieser letzte Punkt wird durch eine Entscheidung der französischen Wettbewerbsbehörde vom 24.10.2018 bestätigt, die das Coty-Urteil erstmals im Rahmen der Prüfung des vom Lieferanten Stihl für den Verkauf seiner Geräte eingerichteten selektiven Vertriebsnetzes anwendet.

Die französische Wettbewerbsbehörde bestätigt den Grundsatz des selektiven Vertriebs für diese Art von Produkten angesichts ihrer hohen technischen Beschaffenheit und der Gefährlichkeit dieser Produkte sowie das Verbot, sie auf Drittanbieterplattformen zu verkaufen. Sie hat allerdings den Hersteller bestraft, der Online-Verkaufsbedingungen in den Verträgen vorgesehen hat, die de facto das Verbot des Verkaufs seiner Produkte über die Websites seiner Händler darstellen.

HANDELSRECHT - Entschädigung des Handelsvertreters während der Probezeit

Mit Urteil vom 19.4.2018 hat der Europäische Gerichtshof auf der Grundlage von Artikel 17 der Richtlinie 86/653/EWG entschieden, dass im Falle der Beendigung des Handelsvertretervertrages, auch während der Probezeit, eine Entschädigung fällig ist.

In diesem Fall hatten zwei französische Unternehmen im Jahr 2011 einen Handelsvertretervertrag mit einer einjährigen Probezeit abgeschlossen. Unzufrieden mit der Leistung des Handelsvertreters beschloss der Auftraggeber, diesen Vertrag während der Probezeit entschädigungslos zu kündigen.

Auf der Grundlage von Artikel L. 134-12 des französischen Handelsgesetzbuches, der sich aus der Umsetzung der Richtlinie 86/653/EWG ergibt, hat der Handelsvertreter den Auftraggeber zum Ersatz des durch die Beendigung des Vertrages entstandenen Schadens aufgefordert. Mit Urteil vom 30.01.2014 hat das Handelsgericht Orléans den Ansprüchen des Handelsvertreters stattgegeben.

In Anwendung einer ständigen Rechtsprechung der Handelskammer des Kassationsgerichtshofs, wonach im Falle der Beendigung des Handelsvertretervertrages während der Probezeit keine Entschädigung zu zahlen ist, hat das Berufungsgericht Orléans mit Urteil vom 18.12.2014 das Urteil aufgehoben und den Antrag des Handelsvertreters abgelehnt.

Auf Antrag des Handelsvertreters hat der Kassationshof dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Ist Artikel 17 der Richtlinie 86/653 über eine Regelung zur Entschädigung und Entschädigung von Handelsvertretern im Falle der Beendigung des Vertrages anwendbar, wenn die Beendigung während der im Vertrag vorgesehenen Probezeit erfolgt? Der Gerichtshof antwortete, dass Artikel  17 der Richtlinie so auszulegen ist, dass die für den Fall der Beendigung des Handelsvertretervertrages vorgesehene Entschädigungsregelung anwendbar ist, selbst wenn die Kündigung des Vertrages während der Probezeit erfolgt.

Der Gerichtshof stellt fest, dass, wenn nichts in der Richtlinie dem Abschluss einer Probezeit in einem Handelsvertretervertrag entgegensteht, die Rechtswirkungen dieser Probezeit das in der Richtlinie verankerte Recht auf Entschädigung nicht beeinträchtigen können, dessen Bestimmungen bereits bei Vertragsabschluss gelten.

Darüber hinaus stellt der Gerichtshof fest, dass die in der Richtlinie vorgesehene Entschädigungsregelung darauf abzielt, den Handelsvertreter für seine früheren Leistungen zu entschädigen. Schließlich stellt das Gericht fest, dass Artikel 18 der Richtlinie, der in Artikel L. 134-13 des Handelsgesetzbuches umgesetzt wurde, der streng ausgelegt wird und die Fälle auflistet, in denen die Entschädigung nicht fällig ist, die Beendigung der Probezeit nicht erwähnt.

Es stellt sich daher die Frage nach den Auswirkungen dieses Urteils auf die französische Rechtsprechung. Sollte der Kassationsgerichtshof beschließen, seine Rechtsprechung an die des Gerichtshofs anzupassen, so würde sich in der Praxis die Frage nach dem Wert einer Probezeit in Handelsvertreterverträgen stellen.

GESELLSCHAFTSRECHT - Genehmigung des Jahresabschlusses

Gemäß Artikel L. 232-1 des französischen Handelsgesetzbuches sind kleine Unternehmen nicht mehr verpflichtet, im Rahmen des Verfahrens zur Feststellung des Jahresabschlusses einen Geschäftsbericht zu erstellen. Diese Maßnahme ist für Geschäftsjahre anwendbar, die am oder nach dem 11.8.2018 enden. 

Zur Erinnerung: “kleine Unternehmen” sind die Gesellschaften, die zwei der folgenden drei Kriterien erfüllen:

– weniger als € 4 Mio. Bilanzsumme,

– weniger als € 8 Mio. Umsatz,

– weniger als 50 Mitarbeiter.

GESELLSCHAFTSRECHT - Klauseln zur Beschränkung von Befugnissen: nicht durchsetzbar gegen Dritte, aber von diesen Dritten einforderbar

Es ist üblich, dass Gesellschaften, unabhängig von ihrer Form, Beschränkungen der Befugnisse ihrer Geschäftsführer vorsehen. Letztere können Dritten zwar grundsätzlich nicht entgegengehalten werden, können aber von diesen geltend gemacht werden. 

Die Klauseln zur Beschränkung von Befugnissen sind in der Regel entweder in der Satzung, in einer Geschäftsordnung oder in einer Aktionsvereinbarung vorgesehen. In den meisten Fällen sehen diese Klauseln eine vorherige Genehmigung durch die Gesellschafter, den Verwaltungsrat oder den Aufsichtsrat vor.

Das französische Handelsgesetzbuch (insbesondere die Artikel L. 223-18 für Gesellschaften mit beschränkter Haftung, L. 225-56 für Aktiengesellschaften und L. 227-6 für vereinfachte Aktiengesellschaften) sieht ausdrücklich vor, dass die die Befugnisse der gesetzlichen Vertreter beschränkenden Klauseln Dritten nicht entgegen gehalten werden können. In der Praxis bedeutet dies, dass eine Gesellschaft keine Klausel zur Begrenzung von Befugnissen geltend machen kann, um eine mit einem Dritten abgeschlossene Vereinbarung mit der Begründung für nichtig zu erklären zu lassen, dass der Geschäftsführer seine Befugnisse überschritten hat.

Der Kassationshof hatte Gelegenheit, auf diesen Grundsatz zurückzukommen, insbesondere in einem Urteil vom 9.07.2013, in dem er daran erinnert, dass “Beschränkungen der Befugnisse der Organe der Gesellschaft, die sich aus der Satzung oder einem Beschluss der zuständigen Organe ergeben, gegenüber Dritten nicht durchsetzbar sind, auch wenn sie veröffentlicht werden”. Dies gilt auch dann, wenn Dritte von der Einschränkung der Befugnisse Kenntnis haben.

Dagegen hat der Kassationshof in einem Urteil vom 14.6. 2018 die Möglichkeit anerkannt, dass ein Dritter eine Klausel zur Beschränkung der Befugnisse geltend machen kann. Im vorliegenden Fall hatte der Geschäftsführer einer landwirtschaftlichen Gesellschaft unter Verstoß gegen die in der Satzung vorgesehene Klausel und ohne vorherige Zustimmung der Gesellschafter die Erlaubnis zur Kündigung eines Mietvertrags gegeben. Diese Lösung findet nicht nur auf Bestimmungen der Satzung Anwendung. Der Kassationshof hatte bereits früher entschieden, dass die in einer Aktionärsvereinbarung vorgesehene Klausel zur Beschränkung von Befugnissen von einem Dritten geltend gemacht werden kann. Mit Urteil vom 18.3.2009 entschied er daher, dass eine Arbeitnehmerkündigung, die gegen eine Aktionärsvereinbarung verstößt, die den Ausspruch einer Kündigung von der vorherigen Zustimmung des Aufsichtsrats abhängig macht, rechtswidrig ist.

Unserer Meinung nach könnte die Position des Kassationsgerichts auch auf Klauseln in Geschäftsordnungen ausgedehnt werden, mit denen die Befugnisse der gesetzlichen Vertreter beschränkt werden.

Die sich aus der oben kommentierten Rechtsprechung ergebenden Schwierigkeiten könnten unserer Ansicht nach dadurch vermieden werden, dass in den Klauseln ausdrücklich vorgesehen wird, dass sie nur im Innenverhältnis gelten sollen und sich Dritte nicht auf diese berufen können. Diese Möglichkeit wurde vom Kassationsgericht in einem Urteil vom 13.11.2013 bestätigt.

Daher sollte der Ausarbeitung von Klauseln zur Beschränkung von Befugnissen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, unabhängig davon, ob sie in der Satzung, in der Geschäftsordnung oder in einer Aktionärsvereinbarung enthalten sind.

GESELLSCHAFTSRECHT - Details zur Laufzeit einer Aktionärsvereinbarung

Mit Urteil vom 20.12.2017 hat der Kassationshof bestätigt, dass eine Vereinbarung, deren Laufzeit vom Verbleib eines der Aktionäre in der Gesellschaft anhängig macht, unbefristet ist und jederzeit gekündigt werden kann.

Die Aktionärsvereinbarung ist ein Vertrag, der parallel zur Satzung abgeschlossen werden kann, durch den sich einige oder alle Aktionäre einer Gesellschaft, vertraulich oder nicht, über bestimmte Aspekte einigen, die nicht in der Satzung geregelt sind.

Mit einer Aktionärsvereinbarung legen die Aktionäre die Bedingungen fest, unter denen bestimmte Aktionäre in die Geschäftsführung eingreifen können, oder die Bedingungen für ihr Ausscheiden. Der Vertrag unterliegt den allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts. Seine Verfasser müssen daher der Ausarbeitung bestimmter Klauseln, insbesondere derjenigen über die Laufzeit der Vereinbarung, besondere Aufmerksamkeit schenken.

Nach ständiger Rechtsprechung können auf unbestimmte Zeit geschlossene Aktionärsvereinbarungen jederzeit mit angemessener Frist gekündigt werden. Mit Urteil vom 20.12.2017 hat der Kassationshof diesen Grundsatz erneut angewandt.

Im vorliegenden Fall sah die von den Aktionären A und B geschlossene Vereinbarung vor, dass ihre Laufzeit davon abhängig war, dass der Aktionär A in der Gesellschaft bleibt. Ohne Berücksichtigung der Laufzeitklausel kündigte Aktionär B die Vereinbarung, obwohl Aktionär A noch Aktionär der Gesellschaft war. Aktionär war der Ansicht, dass der Vertrag auf unbestimmte Zeit abgeschlossen wurde und daher jederzeit kündbar war. Aktionär A verklagt daraufhin Aktionär B auf Schadenersatz mit der Begründung, dass die Kündigung rechtswidrig war.

Der Kassationshof weist darauf hin, dass die Klausel, wonach die Laufzeit der Vereinbarung von der Anwesenheit eines Aktionärs abhängig gemacht wird, es nicht zulässt, dass die Vereinbarung als befristeter Vertrag qualifiziert wird. Auf der Grundlage dieser Feststellung stellte der Kassationshof fest, dass der Vertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen wurde, so dass es jeder Partei freisteht, die Aktionärsvereinbarung jederzeit und unter Einhaltung einer angemessenen Frist zu kündigen.

Das Gericht stellt ferner fest, dass in dem Vertrag nicht festgelegt war, dass die Verpflichtung bis zum Tod des Aktionärs A wirksam ist, so dass sie als ein Vertrag mit unbefristeter Laufzeit zu qualifizieren ist. Aus demselben Urteil ergibt sich, dass der Kassationshofs anders entschieden hätte, wenn die Laufzeit der Vereinbarung auf die Lebensdauer der Aktionäre beschränkt gewesen wäre, anstatt diese von der Aktionärsstellung abhängig zu machen. Würde die Laufzeit der Aktionärsvereinbarung auf die Lebensdauer einer der Aktionäre beschränkt, dann müsste diese a contrario eine befristete Laufzeit haben und diese Befristung beachtet werden.

Der Kassationshofunterscheidet daher zwischen der Beendigung der Stellung als Aktionär und seinem Tod.

GGV in eigener Sache

Am 15.11.2018 veranstaltet das auf Arbeitsrecht spezialisierte Team von GGV einen Informationsvormittag über das Gesetz „berufliche Zukunft“ und über Neuigkeiten im Arbeitsrecht.

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